„Es muß nun das Schwert entscheiden“
So rief Kaiser Wilhelm I. am 6. August 1914 in einem Aufruf zum Kriegsbeginn der deutschen Bevölkerung zu. Weiter heißt es: „Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf zu den Waffen! Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterlande.“ Vorangegangen war die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Gemahlin in Sarajevo. Dieses Attentat löste eine verwirrende Gemengelage zwischen den koaliernden europäischen Ländern aus, die dann im 1. Weltkrieg mündete.
Beginnen möchte ich diese Kapitel mit einem Eintrag meines Großvaters mütterlicherseits in sein Schulheft aus den Jahren 1925/26. Er schreibt einen Art Lebenslauf, in dem es heißt: „Ich, Johannes Walter Hergert, bin am 6. Mai 1912 in Lößnitz (Erzgebirge) geboren. Mein Vater, am 30.10.1882 in Oberschlema geboren, ist Gußputzer bei Erdmann Kircheis in Aue. Als ich 2 Jahre alt war, begann der Weltkrieg, zu dem auch mein Vater leider mit hinaus mußte…Als mein Vater 1918 vom Kriege wiederkam, wurde er schwer krank. Er hatte die Grippe und später trat noch Gehirngrippe ein. Doch wurde es besser und er konnte bald die Arbeit wieder aufnehmen.“
Spanische Grippe oder Zerüttung auf Grund der Kriegserlebnisse?
Im Herbst 1918 grassiert unter den deutschen Soldaten und später auch unter der Zivilbevölkerung die Spanische Grippe, die ein amerikanischer Soldat aus den USA mit an die europäische Front brachte. Tausende fallen der Virusepidemie zum Opfer. Da die Erkrankung unter ihrem heutigen Namen noch nicht bekannt ist, taucht in den Sterberegistern als Todesart „Grippe mit Lungenentzündung“ auf. Die Symptome, die mein Opa bei seinem Vater beschreibt, könnten für die Spanische Grippe sprechen. Vielleicht war es aber auch eine nervliche Zerrüttung auf Grund der traumatischen Erfahrungen in den Schützengräben der Front.
Kriegsbeginn in Puderbach
„… da geht der Ruf durchs deutsche Volk „mobil!“. Vom Kirchturm läuten die Glocken und auf den Feldern, wo man mit der Kornernte beschäftigt ist, ruft man die Nachicht von Feld zu Feld: „et ess mobil!“
So lautet die Tagebucheintragung des Puderbacher Landwirts Otto Haberscheidt, der sich an den 1. August 1914, den Tag der Mobilmachung im Kaiserreich, zurückerinnert. Im Laufe seines Lebens wird er weitere Ereignisse des Dorflebens schriftlich festhalten. Vor allem sein Berichte über die Reichspogromnacht und die letzten Kriegsjahre bis zum Einmarsch amerikanischer Truppen sind rare Zeugnisse der Puderbacher Dorfgeschichte. Doch kehren wir zurück in die Zeit des Kriegsausbruchs im Jahr 1914.
Am darauffolgenden Tag verlassen die sogenannten Landstürmer als erstes das Dorf und werden mit der Eisenbahn nach Koblenz gebracht und dort ausgerüstet. 2 Tage später folgen die Männer der Reserve. Aus Angst vor fremdländischen Sabotageakten werden die Eisenbahnbrücken und die Dorfeingänge von Freiwilligen bewacht. Nach einigen anfänglichen Siegen, jedesmal zeugen die Kirchenglocken davon, folgen die ersten Todesnachichten und aus den scheinbar so erfolgreichen Kämpfen wird ein Stellungskrieg mit Schützengräben über eine Länge von über 700 Kilometern, der noch Jahre andauern wird. Ende 1914 wird dann neben weiteren Ersatzreservisten auch der Jahrgang 1894 eingezogen.
Für mich völlig neu ist, daß im Jahr 1915 in Niederdreis ein Lager für die ersten Kriegsgefangenen eingerichtet wird. Liebe gebürtige Niederdreiser: gibt es irgendwelche Erinnerungen, wo sich dieses Lager befand bzw. gibt es fotografische Zeugnisse?
Musterung, Grundausbildung und Marschbefehl
Am 16. Juni 1915 findet in Dierdorf die Musterung der Jahrgänge 1895 und 96 statt. Auch Otto Haberscheidt wird einberufen und der Infanterie zugeteilt. Über Neuwied geht es für ihn weiter nach Saarlouis, wo er dem IV. Rheinischen Infanterie Regiment Nr. 30 zugeteilt wird. Nach einer einmonatigen Grundausbildung an der Waffe und einem letzten Besuch seiner Eltern vor Ort, bekommt er am 22. August 1915 den Marschbefehl. Stück für Stück rückt nun die Front für ihn näher. Am Abend des 23. werden sie unter Begleitung einer Regimentskapelle und den Klängen des Liedes „Wem Gott will rechte Gunst erweisen“ zum Bahnhof gebracht. Sie kommen am folgenden Tag in Dambach bei Schlettstadt im Elsass an und werden in verschiedene Regimenter aufgeteilt. Für ihn geht es mit dem Zug weiter ins Landesinnere in die Gemeinde Saales in den Vogesen und von dort in einem mehrstündigen Fußmarsch bis in die Gemeinde Ban-de-Sapt. Hier befindet er sich in unmittelbarer Frontnähe. Er wird mit dem ebenfalls aus Puderbach stammenden Simon Seitz und einigen anderen Männern aus dem Puderbacher Umland der 9. Kompanie zugeteilt. An dieser Stelle lassen wir ihn selber weiterberichten:
„Am Abend des 28. August marschierten wir bei strömenden Regen in die vordere Stellung zur Ablösung. Dies war eine seit erst 14 Tagen bezogene neue Stellung. Gräben und Unterstände mußten noch ausgebaut werden, da (sinngemäß) unsere Truppen die alte Stellung von den Franzosen erobert und besetzt hatten. Nachdem wir abgelöst hatten, wurde die erste Gruppe, zu welcher ich gehörte, gleich auf Patrouille vor den Drahtverhau kommandiert. Im strömenden Regen schlichen wir nun gegen die feindlichen Stellungen…“ Hier endet der mir zu Verfügung gestellte Tagebucheintrag. Wie mag wohl der weitere Kriegseinsatz von Otto Haberscheidt und Simon Seitz verlaufen sein?
Der Musketier Simon Seitz
Hier kamen mir die zahlreichen Unterlagen zu Hilfe, die mir freundlicherweise Herr Zantop aus Anhausen, der Enkelsohn des Puderbacher Landwirts Simon Seitz, zur Verfügung stellte. Sein Großvater hatte sowohl Militärpass als auch Soldbuch, sowie ein kleines Gebetbüchlein über die Jahrzehnte sorgsam aufbewahrt. Anhand dieser Dokumente konnte ich den Fronteinsatz Stück für Stück rekonstruieren.
Des Weiteren stieß ich auf einen Internetbeitrag von Herr Peter Grasmann, der auf der Geschichtsplattform „Heimathub“ über das Schicksal des aus Aschaffenburg stammenden Frontsoldaten Gottfried Fischer berichtet. Wie Otto Haberscheidt und Simon Seitz gehörte er zum III. Bataillon/Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 79, das der 9. Kompanie zugeteilt wurde. Am 9. Juni 1916, mit gerade einmal 24 Jahren, fällt Fischer bei der Schlacht um Verdun.
Grundlage für Grasmanns Recherche waren u.a. die „Erinnerungsblätter Deutscher Regimenter“ des Jahres 1933, im Besonderen die Erinnerungen des Leutnant d. R. a. D. Becker aus Oldenburg, aus denen ich Textstellen zitieren möchte.
24. August bis 8. September 1915 Ban-de-Sapt
Die beiden Puderbacher Otto Haberscheidt und Simon Seitz, sowie die aus der Umgegend stammenden Karl Klein (Udert), Wilhelm Haag (Oberdreis), Wilhelm Lichtenthäler (Lautzert), Werner Mahlert (Lautzert) und Wilhelm Ehrenstein (Brückrachdorf) gehören zu den 225 Männern, die im August 1915 dem III. Bataillon/Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 79 zugeteilt werden. Becker berichtet: „Am 28.08. traf ein Ersatz-Transport aus Saarlouis ein, von dem die 10. Kompanie 75, die drei übrigen Kompanien je 50 Mann zugewiesen erhielten. (…) Die Stellung am Ban-de-Sapt war ausgesprochen ruhig. Es wurde, ohne das der Feind viel störte, am Ausbau der Stellung gearbeitet.“ Am 7. bzw. 8. September erfolgt die Ablösung und die Soldaten kehren ins elsässische Breuchtal zurück. Dort sind die Tage von Übungen, Appellen und Exerzieren geprägt.
17. bis 28. September 1915 Lingekopf
Am 15. September ist Transporttag und die Truppenteile werden mit der Bahn von Rothau über Molsheim, Colmar und Turkheim an die Frontlinie geschickt. „Man wußte damit schon das Ziel unseres Marsches : der Lingekopf.“ Dieser 987 Meter hohe Pass in den Vogesen, geprägt durch dichte Wälder und anmutige Täler ist Schauplatz heftigster Kämpfe, bei denen insgesamt 17.000 französische und deutsche Soldaten in dem unwegsamen Gelände ihr Leben verlieren. „Die Kampftätigkeit war auch jetzt immer noch sehr rege, Artillerie-, Minen-, Handgranatenüberfälle von beiden Seiten lösten sich ab. (…) Während der Feuerpausen und nachts gab es viel Arbeit zu leisten, denn infolge der dauerhaften Beschießung war die Stellung immer irgendwo eingeschoßen.“
Am 27. September erfolgt die Ablösung durch die bayrische Landwehr. Das III. Bataillon/Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 79 wird mit der Bahn nach Colmar zurücktransportiert. Nach der Zusammenlegung mit anderen Truppenteilen findet die Weiterverlegung ins Umland von Mülhausen statt. Dort beginnt eine ausgiebige Exerzier-, Drill- und Gefechtsübungsphase.
27. Oktober bis 10. November 1915 Ammerzweiler
„Dann traf der Befehl ein, daß das Bataillon das II./L. 123 (Württembergische Landwehr-Infanterie-Regiment Nr. 123) bei Ammerzweiler abzulösen habe. Die Stellungen, die die Kompanien bezogen, waren ruhig. Auf beiden Seiten bestanden keine Angriffsabsichten, infolgedessen beschränkte sich die Gefechtstätigkeit auf ein geringes Maß. (…) Allnächtlich gingen Patrouillen ins Vorgelände, um die Tätigkeit beim Feinde zu kontrollieren.“
26. November bis 10. Dezember 1915 Hirsingen
„Am 26.11. wurde das Bataillon zur Ablösung des III. Landwehr-Infanterie-Regiments 110 bei Hirsingen bestimmt. Die Übernahme der Stellungen erfolgte planmäßig am 27.11. Auch diese Stellung war im allgemeinen ruhig, doch gab es einzelne Punkte, wo sich die Gefechtstätigkeit zeitweise steigerte. (…) Außer durch gelegentliche Beschießung litt die Stellung sehr unter dem schlechten Wetter. Es war dauernde Arbeit nötig, um die Beschädigungen durch den Regen aufzubessern.“
Wie sehr die Soldaten unter den widrigen Wetterverhältnissen leiden, beschreibt der Infanterist Otto Weber. Ich zitiere aus dem Buch „Frontalltag im Ersten Weltkrieg. Ein Historisches Lesebuch“ von B. Ulrich u. B. Weber:
„Durch den immerwährenden Regen konnten wir uns in den Gräben nicht mehr aufhalten, wir waren gezwungen, aus den Gräben heraus zu gehen. An ein Schießen war nicht zu denken, denn die Gewehre waren vollständig mit Schmutz überstrichen, daß das Schloß nicht mehr geöffnet werden konnte. So war auch jeder Posten vom Kopf bis zu den Füßen so stark beschmutzt mit klebrigem Schlamm, natürlich auch ständig durchnäßt die ganze Stellungsperiode, daß oft einer seinen besten Kameraden nicht mehr kannte.“
„Mit dieser Stellungsperiode war die eigentliche Kampftätigkeit für das Bataillon für längere Zeit zu Ende. Ihm wurden nun im Rahmen der Division andere Aufgaben übertragen, denn allmählich begann jenes große Ringen sich vorzubereiten, das das folgende Jahr 1916 ausfüllte und das uns auch mehrfach in seine Wirbel ziehen sollte, ich meine das Ringen um Verdun. Die O.H.L. (Oberste Heeres-Leitung) hatte den Entschluß gefaßt, im kommenden Jahre eine Entscheidung an der Westfront herbeizuführen“.
Bis zum 13. März 1916 verbleibt das III. Bataillon/Reserve-Infanterie-Regiment im Raum Mülhausen. Ausbau und Sicherung von Truppenunterkünften, intensive militärische Aus- und Weiterbildung sowie Alarmübungen füllen die Dienstpläne.
10. April bis 3. Juni 1916 Schlacht vor Verdun
„So traf auch die 19. R.D. das Schicksal, bei Verdun eingesetzt zu werden. Am 14. März wurde das Bataillon auf Bahnhof Dornbach verladen und über Mülheim, Straßburg, Saargemünd, Montmédy nach Lamouilly transportiert; dort erfolgte die Ausladung und im Fußmarsch wurde am 15.3. vormittags 11.30 Rémoiville erreicht. (…) Gleich beim Aussteigen drängte sich jenes dumpfe Murren ununterbrochenen Kanonendonners einem ins Ohr, das man Tag und Nacht nicht wieder los wurde, solange man in diesem Gebiet weilte.
Nachdem wir 1 Tag in Rémoiville verweilt hatten, ging es weiter südwärts, dem Kanonendonner entgegen, der bei jedem Schritt lauter zu werden schien. (…) Die Straßen waren in einem trostlosen Zustand infolge des starken Verkehrs. Der Schlamm wurde zu beiden Seiten zu einem Wall zusammengekratzt. Autos und Wagenkolonnen zwangen die marschierenden Truppen immer wieder, in diesen Brei zu treten, um auszuweichen. Zeitweise versuchte man, neben der Straße über Feld zu gehen, doch der aufgeweichte zähe Boden zwang bald wieder, auf die Straße zurückzukehren.“
Vom 16. bis zum 25. März beziehen Simon Seitz und seine Kompanie Unterkunft in den Ortschaften Peuvillers, Damvillers und dem völlig zerstörten Ville-devant-Chaumont.
„Da das Bataillon zunächst als Reserve diente, wurde die Zeit verwandt, um in dem Ort und seiner nächster Umgebung aufzuräumen. Auch mußten Unterkünfte erst geschaffen werden. (…) Am 25.3. wurden die Kompanien nach Chaumont verlegt, wo sie auf Anordnung der Ortskommandatur ebenfalls Aufräumarbeiten zu erledigen hatte“.
Stück für Stück rückt die direkte Frontlinie näher. Am 9. April dann erfolgt der Kampfeinsatz in der unzugänglichen Chauffourschlucht. Der Erinnerungsbericht von Leutnant Becker ist derart beklemmend, daß er hier zu großen Teilen zitiert werden soll.
„Irgendwelche Deckungen für die Reserven sind weder in der Chauffourschlucht noch auf Höhe 378 vorhanden. Man gräbt sich zu zweien, vieren möglichst schnell ein Loch in den Hang. Aber bald klirrt der Spaten auf Fels. Also heißt es, mühsam eine Deckung aufschichten.
Die Chauffourschlucht, eine enge tiefe Schlucht, liegt unter ununterbrochenem Beschuß. Alles was sich hier aufhält, klammert sich an den südlichen Steilhang. Gegen Flachbahngeschosse bietet er Schutz, nicht immer aber gegen Steilfeuergeschütze und die schwerkalibrigen Langrohrgeschütze aus der rechten Flanke vom linken Maasufer. Wie oft wird der Boden um- und umgepflügt von den schweren Granaten. In weiter Ferne hört man den Abschuß; wie das Zuklappen einer Ofentür hört es sich an, so harmlos. Bald hört man das Heulen, Orgeln, Jaulen, trillernde Pfeifen. Man hat das Gefühl, als wälze sich förmlich das Ungetüm durch die Luft gerade auf einen zu und fege unmittelbar am Steilhang herunter in den Grund.
Mit Grauen drückt man den Körper noch enger an den Hang, kriecht womöglich noch tiefer in das Loch, das man sich gegraben hat, und atmet auf, wenn die Erd- und Staubfontäne sich in die Luft erhebt und die Splitter zischend und sirrend durch die Luft sausen. Wie oft erschallt gleich darauf der Ruf: `Sanitäter! Sanitäter!´ Irgendein Unglücklicher ist getroffen. Mit ziemlicher Regelmäßigkeit wiederholt sich dieses Schauspiel. Zur Abwechslung gibt es lagenweise Schrapnells dazwischen (…) So geht der Tag hin in ständiger Nervenanspannung. Sobald es dunkel wird, heißt es, zum Schanzen in der vorderen Linien antreten. Mit Gewehr, Munition, Gasmaske und Schanzzeug rücken die Gruppen ab, jede noch irgend etwas für den Bedarf der vorn liegenden Kompanien mitnehmend.
Haben die Kompanien auf Höhe 378 bei Tage nicht so viel unter Beschuß zu leiden, so erwartet sie am Abend eine nicht weniger schreckliche Aufgabe: Verpflegung und Nahkampfmittel, Stacheldrahtrollen, Stollenbretter müssen nach vorn getragen werden. Schon der Weg zu dem rückwärts im Fosses-Walde gelegenen Pionierpark und zurück ist schwer, denn er liegt immer unter Feuer. Dann aber geht es über die Höhe 378 hinüber das langsam sich nach der Chauffourschlucht sinkende Gelände hinab. Ein Laufgraben ist einmal gebaut, aber nur Spuren von ihm sind noch zu erkennen, er ist fast vollkommen eingeebnet. Nur an einigen Stellen haben Läuferposten sich eingenistet und sorgen dafür, daß sie hier und da wenigstens noch Schutz darin finden können.
Ein unerhörtes Schauspiel bietet sich allabendlich den Blicken. Am ganzen Horizont nach Süden ein ununterbrochenes Aufzucken von den Abschüssen der Kanonen. Überall das gelbliche Aufzacken der Explosionen einschlagender Granaten. Dazu das furchtbare Getöse, das Rollen, das Reißen, das Krachen und Bersten, weit entfernt und nahebei, vor einem, hinter einem. Und das Tackern und Knattern der Maschinengewehre und Gewehre. Dann die Leuchtkugeln, so vierfarbig, so verschiedenartig: Lange in der Luft schwebende Schirmraketen der Franzosen, kurz, aber hell aufleuchtende Leuchtkugeln der Deutschen. Dann rote, grüne, gelbe Feuerkugeln mit oder ohne Verästelung: Leuchtzeichen für die Artillerie. Ein sinnverwirrendes Schauspiel.
Doch wer hat dafür Interesse? Sobald die lange, schwerbeladene Trägerkette die Höhe 378 überschritten hat, strafft sich jeder Muskel des Körpers. Augen und Ohren sind in gespanntester Aufmerksamkeit nach vorn gerichtet. Der Weg, immer und immer wieder von Granaten zerwühlt, windet sich durch das Trichtergelände und ist in der Dunkelheit schwer zu erkennen. Der Schlamm saugt die Stiefel ein und macht das Gehen unsagbar mühevoll. Die schweren Stollenbretter und Drahtrollen, die um den Hals gehängten Säcke mit Mineralwasserflaschen, mit Eisernen Portionen, mit Munition und Handgranaten drücken und ziehen nieder. Aber so sehr sind die Sinne auf das feindliche Feuer gerichtet, daß man die schwere Last nur wie nebenbei empfindet. Denn unaufhörlich wird das Gelände abgestreut von der feindlichen Artillerie. Es gilt, den kurzen Augenblick einer Pause zu benutzen um über eine besonders gefährdete Stelle hinwegzukommen.
Da heult es heran und krachend haut eine Lage unmittelbar vor der Spitze des Zuges in den Boden. Längst haben sich alle hingeworfen. Noch poltern die emporgeschleuderten Klumpen zur Erde, da ertönt das „Auf!“ des Führers, und stöhnend und schwer atmend nehmen die Träger die Sachen wieder auf, und in eiligem Schritt, fast im Trabe hasten sie weiter; denn bis zur nächsten Lage dauert es nicht lange. Nur zu oft schlägt eine Salve mitten in die Kette und zerreißt sie und fordert Tote und Verwundete.“
Jeden Abend, mit Anbruch der Dunkelheit, werden die Soldaten des Bataillons erneut zum Transport von Material und Lebensmitteln an die vordersten Frontlinien der Chauffourschlucht geschickt. Der Dauerregen hat die Gräben in Schlammlandschaften verwandelt, es grassieren Darmerkrankungen und täglich sterben Männer durch Beschuss.
„Es ist weiter oben schon zu schildern versucht, wie furchtbar diese Wege waren. (…) Diese Gänge waren so gut wie nie ohne Verluste. Ein bis zwei Tote die Nacht war fast Regel. Verwundete gab es immer ein halbes Dutzend und meistens noch mehr. Der Trampelweg, dem man notgedrungen immer wieder folgte, war tief verschlammt. Die Stiefel und Kleidungsstücke sogen sich durch und durch voll Feuchtigkeit. Die Uniformen sahen lehmfarben aus, denn bei dem häufigen Hinwerfen unterwegs mußte man sich buchstäblich im Schlamm wälzen. Es war unmöglich, die Uniformstücke und Stiefel am Tage einigermaßen trocken zu bekommen, denn auch die Erdhöhlen waren feucht.“
In der Zeit vom 9. bis zum 18. April 1916 sind 30 Tote und 155 Verwundete zu beklagen. Vom 20. April bis zum 5. Mai verlieren 20 weitere Soldaten ihr Leben, 89 erleiden zum Teil schwerste Verwundungen und 97 müssen krankheitsbedingt ins Lazarett eingeliefert werden. Um die Lücken in den Reihen zu schließen, trifft Ende April ein Ersatztransport von 200 Rekruten ein. Becker berichtet über die z.T. völlig unerfahrenen und blutjungen Männer.
„Wie staunten die Ankömmlinge in ihren neuen, sauberen Uniformen, als sie die dreckigen, hohlwangigen Lehmmänner aus ihren Löchern kriechen sahen. Kaum war die Verteilung auf die einzelnen Kompanien erfolgt, kaum hatten sich die z.T. sehr jungen Soldaten darangemacht, sich nun auch Erdhöhlen zu bauen oder in einer vorhandenen sich einzurichten, da begann einer der üblichen Beschießungen des Lagers. (…) Diesmal aber wollte es das Unglück, daß eine Granate dicht bei einer Höhle einschlug, vor der zwei Neulinge saßen. Die Granate explodierte und die Splitter töteten diese beiden, noch bevor sie sich überhaupt ihrer Lage recht bewußt geworden waren. Es ist eine oft festustellende Erfahrung gewesen, daß alte Soldaten, die den Krieg von Anfang an mitgemacht hatten oder lange im Felde waren, sich besser im Augenblick der Gefahr zu schützen wußten als Neulinge.“
Am 5. Mai erfolgt der Unterkunftswechsel vom Fossewald nach dem Bois de Ville. Die äußerst gefährlichen Versorgungstransporte in der Nacht bleiben aber bestehen, ja sie werden noch beschwerlicher wegen des längeren Anmarschs. Eine Woche später findet die Verlegung der Soldaten in das 10 Kilometer Luftlinie von Douaumont gelegene Romagne statt. Die Verlagerung dient der Wiederherstellung der Gefechtsbereitschaft. Die Zeit vom 11. bis zum 24. Mai ist von Übungen im schwierigen Gelände geprägt, zudem werden die Männer im Werfen von Handgranaten und dem Gebrauch der Gasmaske geschult. Am 25. Mai findet eine weitere Umplatzierung des Bataillons in das nördlich der Front gelegene Peuvillers statt. Hier stoßen 140 Mann Ersatz zu den verbliebenen Soldaten des Regiments. Fünf Tage später beordert man das Bataillon wieder in Frontnähe, in die Küchenschlucht südlich von Ville. Neben der Wiederaufnahme der waghalsigen Nachtransporte in die Chauffourschlucht steht der Bau eines Stollens in die Albainschlucht im Vordergrund.
4. Juni 1916 erste Verwundung
Das Waffenarsenal, das dieser industriell geführte Krieg aufbietet, ist unfassbar. Zum ersten Mal in der Geschichte der Kriegsführung werden Panzer, Jagdflugzeuge, Massenvernichtungswaffen wie Flammenwerfer, Kanonen und andere Artillerie, aber auch Maschinengewehre oder Giftgas eingesetzt. Die damit verbundenen Verletzungen sind schwerwiegend und zahlreich. Insgesamt 4,5 Millionen deutsche Soldaten erleiden eine Verwundung, 75 Prozent davon verursacht durch ein Artilleriesprenggeschoss.
Auch Simon Seitz ereilt dieses Schicksal in der Schlacht um Verdun. Vermutlich bei einem seiner nächtlichen Versorgungtransporte in der Chauffourschlucht trifft ihn am 4. Juni der Splitter eines Artilleriegeschosses am linken Oberschenkel. Ob er auch nach den Sanitätern gerufen hat, wie es Becker in seinen Erinnerungen beschreibt? Seine Kameraden durften ihm nicht zur Hilfe eilen, da sie ihren Einsatz fortsetzen mußten. Sanitätsmannschaften sind es, die ihn in das Feldlazarett Nr. 48 bringen, wo das Metallstück aus seinem Körper entfernt wird. Nach vier Wochen der Genesung kehrt er am 9. Juli 1916 zu seiner Kompanie zurück.
18. August bis 17. September 1916 Schlacht vor Verdun
Der nächste Militäreinsatz führt Simon Seitz und sein Bataillon an die Ostfront der Schlacht um Verdun. Die Mannschaften beziehen Lager im sogenannten „Deutsch Eck“, dem Zusammenlauf zweier Landstraßen östlich der Ortschaft Romagne-sous-le-Côtes. Bis hierhin führt eine direkte Verbindung der Heeresfeldbahnen, die für die Versorgung mit Material und der Beförderung von Truppenteilen wichtig ist. Ab hier fahren kleinere Feldbahnen bis zu den stark umkämpften Gefechtsfeldern. An der Straße und in den Wäldern befinden sich mehrere Lazarette, Ruhelager und Pionierdepots.
Immer wieder kommt es zu Fronteinsätzen in den vordersten Abschnitten. Die Beschreibungen des Leutnant d. R. a. D. Becker machen nur allzu deutlich, wie lebensgefährlich und traumatisierend diese Kämpfe sind. Er schreibt:
„Pechschwarz und haushoch sprangen die Rauch- und Erdfontänen empor von den Explosionen der schweren Granaten. Ängstlich, mit zusammengekniffenen Lippen, leuchten die Soldaten, schwer bepackt, wie sie immer waren, in diesen Qualm hinein. Nun heulte es wieder heran, gottlob lag der Einschlag etwas abseits, und wie vom Teufel gepeitscht hastete das Häuflein Menschen weiter, einem nächsten Einschlag entgegen. War man glücklich über den Hardaumont hinüber dann sah man oft die Kasemattenschlucht im weißen Nebel liegen, aus dem nur vereinzelte Baumstümpfe herausragten. „Gasmasken auf!“ ertönte dan das Kommando, den der Nebel rührte von feindlicher Gasbeschießung her, und der süßliche Duft zog einem schon in die Nase. Unendlich schwer war das Marschieren mit aufgesetzter Maske. In dem Trichterfeld mußten die Füße sich einen Halt suchen, denn durch die beschlagenen Scheiben der Gasmasken und wegen des über dem Boden liegenden Gasnebels konnten die Augen nichts unterscheiden. Nur den dunklen Schatten des Vordermannes, der auf dem Nebelmeer zu schwimmen schien, konnte man erkennen.“
17. September 1916 zweite Verwundung
Kaum hat sich Simon Seitz von seiner ersten Verletzung erholt, da trifft ihn erneut ein Artilleriegeschoß. Ein Schrapnell bohrt sich in seine linke Schulter und verwundet ihn schwer. Sanitäter bringen ihn unter Lebensgefahr aus den tödlichen Frontlinien heraus. Die Erstversorgung findet vermutlich im Nachschub- und Versorgungslager „Deutsch Eck“ statt. Von hier geht es weiter in das 31 Kilometer entfernte Montmédy. Im Theater der Stadt haben Sanitätsoffiziere ein provisorisches Krankenhaus eingerichtet.
Neun Tage nach seiner Einlieferung ins Rot-Kreuz-Hospital von Montmédy erfolgt die Überführung ins Reservelazarett Pirmasens. Bis zum 4. Oktober findet dort die Weiterbehandlung statt. Laut Militärpass kommt es im Anschluß zu einer erneuten Verlegung. Im Schulgebäude der südpfälzischen Ortschaft Waldfischbach hat man ein provisorisches Krankenlager eingerichtet. Dort verbringt Simon Seitz die restlichen Wochen seiner Rekonvaleszenz.
Nach seiner Rückkehr zur Truppe erhält er im Dezember 1916 in Anerkennung seiner Verdienste im Felde das Eiserne Kreuz II. Klasse verliehen.
Weitere Kriegseinsätze
Noch zwei weitere, lange Jahre ist Simon Seitz an der Westfront des 1. Weltkriegs eingesetzt. Im Juli 1917 wird er dem Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 239 unterstellt und nimmt an Stellungskämpfen bei Reims und der nordfranzösischen Provinz Artois teil. Es folgen Kampfhandlungen in Flandern, in der sogenannten dritten Schlacht von Ypern. Hier stehen sich deutsche Kompanien und alliierte Truppen aus Frankreich, Großbritannien, Kanada, Australien u. Neuseeland gegenüber. In nur drei Monaten fallen auf beiden Seiten rund 500.000 Mann, eine Zahl, die sprachlos macht. Zum Glück wird er und sein Regiment bereits nach vier Wochen an andere Frontlinien verlegt. Bis April 1918 ist er im Gebiet der östlichen Champagne stationiert.
Die Soldaten leben neben der ständigen Gefahr, durch Geschoße verletzt oder getötet zu werden, auch mit der Angst, bei einem Einschlag in Unterstand oder Tunnel lebendig verschüttet zu werden. Ein Beispiel dafür ist der sogenannte Winterbergstollen bei Craonne, der im Mai 1917 bei intensivem Trommelfeuer einstürzte und rund 250 Männer unter sich begrub. Erst 2020 entdeckten Hobbyforscher Reste des Tunnelsystems. Am 8. Mai 1918 ereilt Simon ein ähnliches Schicksal. Bei einem Angriff wird er in einem solchen Schutzbau verschüttet. Welch ein Glück, daß es Kameraden gelingt, ihn lebendig aus den Erdmassen zu befreien. Nach einem zweiwöchigen Lazarettaufenthalt kehrt er zu seiner Einheit zurück.
Die letzten beiden Kriegsjahre sind durch den steten Rückzug Deutscher Truppen geprägt. An der sogenannten Siegfriedlinie, ein 160 Kilometer langer Frontabschnitt von der nordfranzösischen Stadt Arras bis zu dem im Département Aisne gelegenen Soissons, verharren die kaiserlichen Regimenter. Auch Simon Seitz und sein 239. Rerserve-Infanterie-Regiment liegen hier in Stellung. In der Nähe von Trecault, südöstlich von Arras gelegen, erleidet er die 4. Verwundung. Ein Infanteriegschoß trifft ihn am 12. September 1918 am rechten Knie. Wieder folgt ein mehrwöchiger Lazarettaufenthalt.
Laut Militärpass teilt man den Musketier Seitz noch einmal einer Divison zu, dem Landwehr-Infanterie-Regiment Nr. 28, doch der Kriegsausgang ist bereits entschieden und es kommt zu keinem direkten Kampfeinsatz mehr. Am frühen Morgen des 11. November 1918 unterzeichnet Staatssekretär Matthias Erzberger und der französische Generalfeldmarschall Ferdinand Foch den Waffenstillstand. Um 11.00 Uhr geben Trompetensignale an den Fronten das Ende der Kampfhandlungen bekannt, unmittelbar darauf schweigen die Waffen. Am 9. Dezember erfolgt Simon Seitz Entlassung aus dem Militärdienst. Wie oft wird er sich diesen Tag in den vergangenen dreieinhalb Jahren herbeigesehnt haben. (Beitrag vom 15.04.2024)
Links zum Beitrag:
Bericht von Herrn Peter Grasmann über den Soldaten Gottfried Fischer, der im selben Regiment wie Simon Seitz diente
Downloadmöglichkeit der „Erinnerungsblätter Deutscher Regimenter“ des Jahres 1933 mit dem Bericht des Leutnant d. R. a. D. Becker aus Oldenburg
https://digital.wlb-stuttgart.de/index.php?id=6&tx_dlf%5Bid%5D=8616&tx_dlf%5Bpage%5D=1
Der Nachlass von Friedrich Runkler
Es ist ein Glücksfall, daß Herr Klein aus Puderbach vor Kurzem die Möglichkeit bekam, daß kleine Anwesen der unverheirateten Brüder Philipp und Friedrich Runkler an der Steimeler Straße zu erwerben. Da das Haus 1976 an Verwandte der Familie vererbt wurde, die es aber kaum veränderten und persönliche Gegenstände, wie Fotografien und Unterlagen bewahrten, hat sich dieser Schatz bis heute erhalten. Dank dieser Dokumente lässt sich die Militärzeit von Friedrich während des 1. Weltkriegs genauestens nachvollziehen.
Ausbildung in Koblenz
Es beginnt im Januar 1916, als Friedrich im Alter von 22 Jahren eingezogen und in Koblenz zum Landsturmmann ausgebildet wird. Bei der Kaserne dürfte es sich um die sogenannte Telegraphen-Kaserne handeln, die sich im Stadtteil Meselweiß befand. Die Ausbildung dauerte mehrere Wochen und zog sich bis in den Februar hinein. Aus dieser Zeit ist eine Fotografie erhalten, die ihn mit seinen Kameraden zeigt, sowie eine Schießscheibe, die ihm ein Leutnant Jakob, anerkennend für seine herausragende Schießleistung, signiert.
Noch hat der Schrecken des Krieges den jungen Rekruten nicht erreicht.
Fronteinsatz in Frankreich
Die nächste Nachicht, die die Mutter und Geschwister erreicht, kommt im Mai aus der Stadt Saint-Quentin im Department Aisne. Die französische Stadt wurde in der sogenannten Schlacht an der Guise im August 1914 von deutschen Truppen erobert. „Bis jetzt sind wir noch hier“ schreibt er nach Hause. Doch er befürchtet, daß das Abrücken an die Front naht, so schreibt er weiter: „Hier weiß man ja doch nichts, das kommt auf einmal“.
Einsatz in Rußland
Im Dezember 1916 folgen die ersten Ansichtskarten aus dem fernen Rußland. Er ist nun Musketier des Infanterie Regiments Nr. 28. Bis in den Mai 1917 ist er hier stationiert und wird auch verwundet. Aus dem Feldlazarett schreibt er: „Solange ich noch hier (im Lazarett) bin, habe ich es besser als anderswo“.
Ob er etwas von den Unruhen in Rußland mitbekommen hat? Der harte Winter 1916/17, die schlechte Versorgungslage der Bevölkerung und der nicht enden wollende Krieg trieben die unzufriedenen und hungernden Menschen des Riesenreichs im Februar 1917 zu Tausenden auf die Straße. Im März sieht sich Zar Nikolaus II gezwungen, zurückzutreten. Nach unruhigen Monaten kommen die Bolschewisten unter Führung von Wladimir Iljitsch Lenin an die Macht und beenden den Krieg mit den Mittelmächten Deutschland, Österreich, Bulgarien und dem Osmanischen Reich.
Wieder in Frankreich
Im Anschluß verlegt man Friedrichs Kompanie wieder nach Frankreich. Er nimmt vermutlich an den Kämpfen an der Westfront teil. Hier stehen den deutschen und österreichische Verbänden französische, englische und seit April 1917 amerikanische Truppen gegenüber. Die folgende Aufnahme aus dem Jahr 1918 zeigt ihn mit seiner Kompanie. Ich frage mich, wie viele dieser Männer mögen im letzten Kriegsjahr gefallen sein?
In dem Nachlass Friedrich Runklers tauchten auch diese beiden Fotografien auf, die eine völlig verwüstete Stadt und eine zerstörte Kirche zeigen. Dank einer kleinen Notiz auf der Rückseite kann ich die Ruinen der Stadt Lens im Départment Pas-de-Calais zuordnen. Die Ortschaft lag im unmittelbarer Nähe des Frontverlaufs und wurde zu großen Teilen dem Erdboden gleich gemacht.
Bitte achten Sie auch auf den unten angehängten Link der Filmothek des Bundesarchivs. Ein Kameramann hat die erbitterten Kämpfe im Gebiet Lens und Oppy im Jahr 1917 auf Film festgehalten. Sie machen einen sprachlos.
https://www.filmportal.de/video/kaempfe-bei-lens-und-oppy
Hat Friedrich die Zerstörungen mit eigenen Augen gesehen? Was mag in ihm vorgegangen sein? Fühlte er so etwas wie eine eigene Schuld? Wie traumatisch mögen die Erlebnisse in den Schützengräben für ihn gewesen sein?
Verwundung und Lazarettaufenthalt
Die nächsten Nachichten erreichen die Mutter und Geschwister im Juli 1918 aus dem Feldlazarett in Großauheim bei Hanau. Hierhin hat man den verwundeten Friedrich gebracht.
Mit dem Aufenthalt im Lazarett Großauheim enden die Aufzeichnungen der Kriegsjahre. Es ist zu vermuten, daß Friedrich nach seiner Genesung wieder nach Puderbach zurückkehren konnte. Seine Kameraden jedoch kämpften noch bis Ende 1918 einen aussichtslosen Kampf, der mit der Unterzeichung des Waffenstillstands am 11. November ein Ende fand. (Beitrag vom 10.01.2023)
Weitere Kriegsteilnehmer aus Puderbach
Vermutlich wie im ganzen Kaiserreich ziehen auch die Männer Puderbachs euphorisch und siegessicher an die Front. Werden sie, wie schon so häufig auf alten Fotografien zu sehen, von ihren Frauen und Kindern am hiesigen Bahnhof tränenreich verabschiedet? Doch schon nach kürzester Zeit verfliegt die anfängliche Begeisterung, spätestens als die ersten Todesnachichten die Familien erreichten. Bereits zwei Monate nach Kriegsbeginn am 26. September 1914 erreicht Selma Bär, die gerade zum zweiten Mal schwanger ist, die Mitteilung, daß ihr Ehemann Berthold für Kaiser und Vaterland gefallen ist. Sie wird nicht die Letzte sein, die dieses traurige Schicksal ereilt. Auch die am Felsen wohnende Wilhelmine Weingarten mit ihren beiden Mädchen Erna und Emma oder die Hebamme Mina Kunz vom Ackerweg, deren Sohn erst nach dem Tod des Vaters zur Welt kommt und als Erinnerung seinen Namen tragen wird, verlieren ihre geliebten Ehemänner in den Schützengräben der Front.
Verwundet
Etliche Puderbacher Männer werden bei den Gefechten teilweise schwer verletzt, wie beispielsweise Wilhelm Löhr (Schoopittersch) von der Steimeler Straße oder auch Louis Weber (Heydorsch) vom Gasthof auf der Hauptstraße.
Grippe und Lungenentzündung
Wie oben schon erwähnt, grassiert ab Ende Juni 1918 zunächst unter den Frontsoldaten, später aber auch unter der Zivilbevölkerung die hochinfektiöse Spanische Grippe, der u.a. Karl Bay, Joh. Peter Born und Wilhelm Dorr zum Opfer fallen. Als Todesursache wird bei allen Dreien „Grippe mit Lungenentzündung“ vermerkt, welches auf die ansteckende Viruserkrankung hinweist.
Ehrenmal
Nach Kriegsende kommt unter der Bevölkerung schon bald der Wunsch auf, der Gefallenen durch ein Ehrenmal zu gedenken. Aus diesem Grund schließt sich der Puderbacher Turnverein und Posaunenchor, sowie die Gesangvereine aus Reichenstein, Woldert, Weroth und Muscheid zu dem Zweckverband „Heimatdank“ zusammen. Sie werden duch Haussammlungen und Veranstaltungen wie Konzerte oder Turnvorführungen die Gelder für die Errichtung zusammenbringen.
Ruchlos
In der Nacht vom 28. auf den 29. September 1924, das Kriegerdenkmal ist bereits am Eingang des Friedhofs errichtet, aber noch nicht eingeweiht worden, beschmieren Unbekannte die Namen der beiden jüdischen Gefallenen Karl und Berthold Bär mit einer teerartigen Masse. Der Zeitungsartikel vom 13. Oktober desselben Jahres berichtet davon. Noch löst diese Tat berechtigte Empörung bei der Bevölkerung aus. Sie zeigt aber auch, daß Antisemitismus im beginnenden 20. Jahrhundert weit verbreitet ist. Gerade die DNVP, die Deutschnationale Volkspartei und der sogenannte „Stahlhelm“, eine Organisation aus ehemaligen Frontsoldaten, sind offen antijüdisch.
Einweihung
Am 9. November 1924 ist es dann endlich soweit. In einem Festakt wird das Ehrenmal für die Gefallenen des 1. Weltkriegs feierlich eingweiht. Die unten zu sehende Postkarte zeugt davon. 1930 übergibt der Zweckverband „Heimatdank“ nach Abtragung der entstandenen Verbindlichkeiten das Denkmal an die Kirchengemeinde Puderbach.
Links:
Über den 1. Weltkrieg
https://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Weltkrieg
Die Spanische Grippe in Deutschland
https://www.berlin.de/projekte-mh/netzwerke/spaetlese/themen/gesundheit/artikel.716988.php
Zeitzeugenberichte auf der Seite des LeMO, des Lebendigen Museums Online
Artikel der Rhein-Zeitung zum 1. Weltkrieg
https://www.rhein-zeitung.de/region/zeitgeschichte/der-erste-weltkrieg.html