„Es muß nun das Schwert entscheiden“
So rief Kaiser Wilhelm I. am 6. August 1914 in einem Aufruf zum Kriegsbeginn der deutschen Bevölkerung zu. Weiter heißt es: „Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf zu den Waffen! Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterlande.“ Vorangegangen war die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Gemahlin in Sarajevo. Dieses Attentat löste eine verwirrende Gemengelage zwischen den koaliernden europäischen Ländern aus, die dann im 1. Weltkrieg mündete.

Beginnen möchte ich diese Kapitel mit einem Eintrag meines Großvaters mütterlicherseits in sein Schulheft aus den Jahren 1925/26. Er schreibt einen Art Lebenslauf, in dem es heißt: „Ich, Johannes Walter Hergert, bin am 6. Mai 1912 in Lößnitz (Erzgebirge) geboren. Mein Vater, am 30.10.1882 in Oberschlema geboren, ist Gußputzer bei Erdmann Kircheis in Aue. Als ich 2 Jahre alt war, begann der Weltkrieg, zu dem auch mein Vater leider mit hinaus mußte…Als mein Vater 1918 vom Kriege wiederkam, wurde er schwer krank. Er hatte die Grippe und später trat noch Gehirngrippe ein. Doch wurde es besser und er konnte bald die Arbeit wieder aufnehmen.“

Spanische Grippe oder Zerüttung auf Grund der Kriegserlebnisse?
Im Herbst 1918 grassiert unter den deutschen Soldaten und später auch unter der Zivilbevölkerung die Spanische Grippe, die ein amerikanischer Soldat aus den USA mit an die europäische Front brachte. Tausende fallen der Virusepidemie zum Opfer. Da die Erkrankung unter ihrem heutigen Namen noch nicht bekannt ist, taucht in den Sterberegistern als Todesart „Grippe mit Lungenentzündung“ auf. Die Symptome, die mein Opa bei seinem Vater beschreibt, könnten für die Spanische Grippe sprechen. Vielleicht war es aber auch eine nervliche Zerrüttung auf Grund der traumatischen Erfahrungen in den Schützengräben der Front.

Kriegsbeginn in Puderbach
„… da geht der Ruf durchs deutsche Volk „mobil!“. Vom Kirchturm läuten die Glocken und auf den Feldern, wo man mit der Kornernte beschäftigt ist, ruft man die Nachicht von Feld zu Feld: „et ess mobil!“
So lautet die Tagebucheintragung des Puderbacher Landwirts Otto Haberscheidt, der sich an den 1. August 1914, den Tag der Mobilmachung im Kaiserreich, zurückerinnert. Im Laufe seines Lebens wird er weitere Ereignisse des Dorflebens schriftlich festhalten. Vor allem sein Berichte über die Reichspogromnacht und die letzten Kriegsjahre bis zum Einmarsch amerikanischer Truppen sind rare Zeugnisse der Puderbacher Dorfgeschichte. Doch kehren wir zurück in die Zeit des Kriegsausbruchs im Jahr 1914.
Am darauffolgenden Tag verlassen die sogenannten Landstürmer als erstes das Dorf und werden mit der Eisenbahn nach Koblenz gebracht und dort ausgerüstet. 2 Tage später folgen die Männer der Reserve. Aus Angst vor fremdländischen Sabotageakten werden die Eisenbahnbrücken und die Dorfeingänge von Freiwilligen bewacht. Nach einigen anfänglichen Siegen, jedesmal zeugen die Kirchenglocken davon, folgen die ersten Todesnachichten und aus den scheinbar so erfolgreichen Kämpfen wird ein Stellungskrieg mit Schützengräben über eine Länge von über 700 Kilometern, der noch Jahre andauern wird. Ende 1914 wird dann neben weiteren Ersatzreservisten auch der Jahrgang 1894 eingezogen.
Für mich völlig neu ist, daß im Jahr 1915 in Niederdreis ein Lager für die ersten Kriegsgefangenen eingerichtet wird. Liebe gebürtige Niederdreiser: gibt es irgendwelche Erinnerungen, wo sich dieses Lager befand bzw. gibt es fotografische Zeugnisse?

Am 16. Juni 1915 findet in Dierdorf die Musterung der Jahrgänge 1895 und 96 statt. Auch Otto Haberscheidt wird einberufen und der Infanterie zugeteilt. Über Neuwied geht es für ihn weiter nach Saarlouis, wo er dem IV. Rheinischen Infanterie Regiment Nr. 30 zugeteilt wird. Nach einer einmonatigen Grundausbildung an der Waffe und einem letzten Besuch seiner Eltern vor Ort, bekommt er am 22. August 1915 den Marschbefehl. Stück für Stück rückt nun die Front für ihn näher. Am Abend des 23. werden sie unter Begleitung einer Regimentskapelle und den Klängen des Liedes „Wem Gott will rechte Gunst erweisen“ zum Bahnhof gebracht. Sie kommen am folgenden Tag in Dambach bei Schlettstadt im Elsass an und werden in verschiedene Regimenter aufgeteilt. Für ihn geht es mit dem Zug weiter ins Landesinnere in die Gemeinde Saales in den Vogesen und von dort in einem mehrstündigen Fußmarsch bis in die Gemeinde Ban-de-Sapt. Hier befindet er sich in unmittelbarer Frontnähe. Er wird mit dem ebenfalls aus Puderbach stammenden Simon Seitz und einigen anderen Männern aus dem Puderbacher Umland der 9. Kompanie zugeteilt. An dieser Stelle lassen wir ihn selber weiterberichten:
„Am Abend des 28. August marschierten wir bei strömenden Regen in die vordere Stellung zur Ablösung. Dies war eine seit erst 14 Tagen bezogene neue Stellung. Gräben und Unterstände mußten noch ausgebaut werden, da (sinngemäß) unsere Truppen die alte Stellung von den Franzosen erobert und besetzt hatten. Nachdem wir abgelöst hatten, wurde die erste Gruppe, zu welcher ich gehörte, gleich auf Patrouille vor den Drahtverhau kommandiert. Im strömenden Regen schlichen wir nun gegen die feindlichen Stellungen…“
Hier endet der mir zu Verfügung gestellte Tagebucheintrag. Auf Grund der vermutlich erschreckenden weiteren Berichte, hielt die Familie die weiteren Seiten des Berichts zurück. Ich muß aber ehrlicher Weise sagen, daß ich keine weiteren Details aus seiner Feder brauche, um mir die darauf folgenden Geschehnisse vor Augen zu rufen. Otto Haberscheidt wird im Laufe seines Einsatzes an der Front noch eine leichte und auch schwere Verwundung davontragen.
Um das Thema zu vertiefen, möchte ich Sie auf die Seite des Deutschen Historischen Museums hinweisen. Unter dem Bereich „Lebendiges Museum Online“ kurz LeMO genannt, werden Tagebucheinträge bzw. Feldpostbriefe mehrerer Frontsoldaten vorgestellt. Sie geben einen erschütternden Einblick in diese Jahre. Zudem bietet die Rhein-Zeitung eine Reihe von Artikeln rund um den 1. Weltkrieg auf ihrer Internetseite an, die alle in regionaler Nähe zu Puderbach stehen. Die Links findet Sie am Ende des Beitrags angehängt.

Der Nachlass von Friedrich Runkler
Es ist ein Glücksfall, daß Herr Klein aus Puderbach vor Kurzem die Möglichkeit bekam, daß kleine Anwesen der unverheirateten Brüder Philipp und Friedrich Runkler an der Steimeler Straße zu erwerben. Da das Haus 1976 an Verwandte der Familie vererbt wurde, die es aber kaum veränderten und persönliche Gegenstände, wie Fotografien und Unterlagen bewahrten, hat sich dieser Schatz bis heute erhalten. Dank dieser Dokumente lässt sich die Militärzeit von Friedrich während des 1. Weltkriegs genauestens nachvollziehen.

Ausbildung in Koblenz
Es beginnt im Januar 1916, als Friedrich im Alter von 22 Jahren eingezogen und in Koblenz zum Landsturmmann ausgebildet wird. Bei der Kaserne dürfte es sich um die sogenannte Telegraphen-Kaserne handeln, die sich im Stadtteil Meselweiß befand. Die Ausbildung dauerte mehrere Wochen und zog sich bis in den Februar hinein. Aus dieser Zeit ist eine Fotografie erhalten, die ihn mit seinen Kameraden zeigt, sowie eine Schießscheibe, die ihm ein Leutnant Jakob, anerkennend für seine herausragende Schießleistung, signiert.
Noch hat der Schrecken des Krieges den jungen Rekruten nicht erreicht.






Fronteinsatz in Frankreich
Die nächste Nachicht, die die Mutter und Geschwister erreicht, kommt im Mai aus der Stadt Saint-Quentin im Department Aisne. Die französische Stadt wurde in der sogenannten Schlacht an der Guise im August 1914 von deutschen Truppen erobert. „Bis jetzt sind wir noch hier“ schreibt er nach Hause. Doch er befürchtet, daß das Abrücken an die Front naht, so schreibt er weiter: „Hier weiß man ja doch nichts, das kommt auf einmal“.

Einsatz in Rußland
Im Dezember 1916 folgen die ersten Ansichtskarten aus dem fernen Rußland. Er ist nun Musketier des Infanterie Regiments Nr. 28. Bis in den Mai 1917 ist er hier stationiert und wird auch verwundet. Aus dem Feldlazarett schreibt er: „Solange ich noch hier (im Lazarett) bin, habe ich es besser als anderswo“.



Falls ja, so würde das Bild zeitlich in die Phase fallen, in der Friedrich vom Dezember 1916 bis zum Mai 1917 in Russland stationiert war.
Ob er etwas von den Unruhen in Rußland mitbekommen hat? Der harte Winter 1916/17, die schlechte Versorgungslage der Bevölkerung und der nicht enden wollende Krieg trieben die unzufriedenen und hungernden Menschen des Riesenreichs im Februar 1917 zu Tausenden auf die Straße. Im März sieht sich Zar Nikolaus II gezwungen, zurückzutreten. Nach unruhigen Monaten kommen die Bolschewisten unter Führung von Wladimir Iljitsch Lenin an die Macht und beenden den Krieg mit den Mittelmächten Deutschland, Österreich, Bulgarien und dem Osmanischen Reich.


Wieder in Frankreich
Im Anschluß verlegt man Friedrichs Kompanie wieder nach Frankreich. Er nimmt vermutlich an den Kämpfen an der Westfront teil. Hier stehen den deutschen und österreichische Verbänden französische, englische und seit April 1917 amerikanische Truppen gegenüber. Die folgende Aufnahme aus dem Jahr 1918 zeigt ihn mit seiner Kompanie. Ich frage mich, wie viele dieser Männer mögen im letzten Kriegsjahr gefallen sein?

In dem Nachlass Friedrich Runklers tauchten auch diese beiden Fotografien auf, die eine völlig verwüstete Stadt und eine zerstörte Kirche zeigen. Dank einer kleinen Notiz auf der Rückseite kann ich die Ruinen der Stadt Lens im Départment Pas-de-Calais zuordnen. Die Ortschaft lag im unmittelbarer Nähe des Frontverlaufs und wurde zu großen Teilen dem Erdboden gleich gemacht.
Bitte achten Sie auch auf den unten angehängten Link der Filmothek des Bundesarchivs. Ein Kameramann hat die erbitterten Kämpfe im Gebiet Lens und Oppy im Jahr 1917 auf Film festgehalten. Sie machen einen sprachlos.
https://www.filmothek.bundesarchiv.de/video/581210?set_lang=de


Hat Friedrich die Zerstörungen mit eigenen Augen gesehen? Was mag in ihm vorgegangen sein? Fühlte er so etwas wie eine eigene Schuld? Wie traumatisch mögen die Erlebnisse in den Schützengräben für ihn gewesen sein?
Verwundung und Lazarettaufenthalt
Die nächsten Nachichten erreichen die Mutter und Geschwister im Juli 1918 aus dem Feldlazarett in Großauheim bei Hanau. Hierhin hat man den verwundeten Friedrich gebracht.



Mit dem Aufenthalt im Lazarett Großauheim enden die Aufzeichnungen der Kriegsjahre. Es ist zu vermuten, daß Friedrich nach seiner Genesung wieder nach Puderbach zurückkehren konnte. Seine Kameraden jedoch kämpften noch bis Ende 1918 einen aussichtslosen Kampf, der mit der Unterzeichung des Waffenstillstands am 11. November ein Ende fand. (Beitrag vom 10.01.2023)

Weitere Kriegsteilnehmer aus Puderbach

Vermutlich wie im ganzen Kaiserreich ziehen auch die Männer Puderbachs euphorisch und siegessicher an die Front. Werden sie, wie schon so häufig auf alten Fotografien zu sehen, von ihren Frauen und Kindern am hiesigen Bahnhof tränenreich verabschiedet? Doch schon nach kürzester Zeit verfliegt die anfängliche Begeisterung, spätestens als die ersten Todesnachichten die Familien erreichten. Bereits zwei Monate nach Kriegsbeginn am 26. September 1914 erreicht Selma Bär, die gerade zum zweiten Mal schwanger ist, die Mitteilung, daß ihr Ehemann Berthold für Kaiser und Vaterland gefallen ist. Sie wird nicht die Letzte sein, die dieses traurige Schicksal ereilt. Auch die am Felsen wohnende Wilhelmine Weingarten mit ihren beiden Mädchen Erna und Emma oder die Hebamme Mina Kunz vom Ackerweg, deren Sohn erst nach dem Tod des Vaters zur Welt kommt und als Erinnerung seinen Namen tragen wird, verlieren ihre geliebten Ehemänner in den Schützengräben der Front.

Doch nach wenigen Augenblicken stellen wir fest, daß die Aufnahme aus den Kriegsjahren 1914 bis 1918 stammen muß und einen mit Holzbalken abgestützten Frontgraben zeigt. Wilhelm, der zweite Ehemann der Kriegerwitwe Weingarten, ist hier in der Mitte seiner Kriegskameraden zu sehen (siehe Punkt). Die acht Soldaten tragen auf ihren Köpfen das sogenannte „Krätzchen“, die typische Kopfbedeckung für militärische Angehörige des Kaiserreichs. Ganz vorne hält einer der Männer eine Spitzhacke in der Hand, sodass man vermuten kann, daß er beim Ausbau der militärischen Anlage beteiligt war. Erst beim näheren Hinsehen entdecken wir die Stielhandgranaten, die zwei der Infanteristen dem Fotografen präsentieren. Nun gibt es keinen Zweifel mehr. Die Männer sitzen in ihrem Schützengraben, möglicherweise in einem schützenden Unterstand, und warten auf den Befehl ihres Vorgesetzten, den Feind anzugreifen. (Beitrag vom 14. November 2021)

Verwundet
Etliche Puderbacher Männer werden bei den Gefechten teilweise schwer verletzt, wie beispielsweise Wilhelm Löhr (Schoopittersch) von der Steimeler Straße oder auch Louis Weber (Heydorsch) vom Gasthof auf der Hauptstraße.





Grippe und Lungenentzündung
Wie oben schon erwähnt, grassiert ab Ende Juni 1918 zunächst unter den Frontsoldaten, später aber auch unter der Zivilbevölkerung die hochinfektiöse Spanische Grippe, der u.a. Karl Bay, Joh. Peter Born und Wilhelm Dorr zum Opfer fallen. Als Todesursache wird bei allen Dreien „Grippe mit Lungenentzündung“ vermerkt, welches auf die ansteckende Viruserkrankung hinweist.

Ehrenmal
Nach Kriegsende kommt unter der Bevölkerung schon bald der Wunsch auf, der Gefallenen durch ein Ehrenmal zu gedenken. Aus diesem Grund schließt sich der Puderbacher Turnverein und Posaunenchor, sowie die Gesangvereine aus Reichenstein, Woldert, Weroth und Muscheid zu dem Zweckverband „Heimatdank“ zusammen. Sie werden duch Haussammlungen und Veranstaltungen wie Konzerte oder Turnvorführungen die Gelder für die Errichtung zusammenbringen.



Ruchlos
In der Nacht vom 28. auf den 29. September 1924, das Kriegerdenkmal ist bereits am Eingang des Friedhofs errichtet, aber noch nicht eingeweiht worden, beschmieren Unbekannte die Namen der beiden jüdischen Gefallenen Karl und Berthold Bär mit einer teerartigen Masse. Der Zeitungsartikel vom 13. Oktober desselben Jahres berichtet davon. Noch löst diese Tat berechtigte Empörung bei der Bevölkerung aus. Sie zeigt aber auch, daß Antisemitismus im beginnenden 20. Jahrhundert weit verbreitet ist. Gerade die DNVP, die Deutschnationale Volkspartei und der sogenannte „Stahlhelm“, eine Organisation aus ehemaligen Frontsoldaten, sind offen antijüdisch.

Einweihung
Am 9. November 1924 ist es dann endlich soweit. In einem Festakt wird das Ehrenmal für die Gefallenen des 1. Weltkriegs feierlich eingweiht. Die unten zu sehende Postkarte zeugt davon. 1930 übergibt der Zweckverband „Heimatdank“ nach Abtragung der entstandenen Verbindlichkeiten das Denkmal an die Kirchengemeinde Puderbach.

Links:
Über den 1. Weltkrieg
https://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Weltkrieg
Die Spanische Grippe in Deutschland
https://www.berlin.de/projekte-mh/netzwerke/spaetlese/themen/gesundheit/artikel.716988.php
Zeitzeugenberichte auf der Seite des LeMO, des Lebendigen Museums Online
Artikel der Rhein-Zeitung zum 1. Weltkrieg
https://www.rhein-zeitung.de/region/zeitgeschichte/der-erste-weltkrieg.html