
Es sind gut zwei Monate vergangen, daß ich meinen Blog begonnen habe. Viele der bisher behandelten Punkte fielen mir recht leicht zu schreiben und zu formulieren. Aber wo anfangen bei diesem Thema, das so umfangreich und vielschichtig ist, das Fragen aufwirft, die lieber ungestellt blieben.
Breite Zustimmung
Beginnen möchte ich mit den Wahlergebnissen der Reichstagswahlen für den Kreis Neuwied vom 5. März 1933. Die Wahlbeteiliung ist unfassbar hoch und liegt bei 92,08 %. Die demokratische Zentrumspartei geht aus dieser Wahl mit 36, 47 % als stärkste Kraft hervor, gefolgt von der NSDAP mit 33,81 %. Die SPD kann 12,90 % der Stimmen gewinnen, die KPD 8,31 %, gefolgt von der Schwarz-Weiß-Rot mit 5,98 %. DVP und DSTP liegen abgeschlagen bei 1,79 und 0,30 %.
Schaut man sich jetzt speziell die Wahlergebnisse der NSDAP für die Ortschaften Puderbach, Steimel und Rengsdorf an, so verschlägt es einem die Sprache. In Steimel haben 84,21 % der Wahlberechtigten für die Nationalsozialisten gestimmt, in Rengsdorf 71,45 % und in Puderbach 69,99 %.
Bereits bei den Wahlen am 14. September 1930 liegen die Ergebnisse der Nazis in Rengsdorf erschreckend hoch bei 41,18 %, in Steimel bei 28,24 % und in Puderbach bei 24,09 % und somit weit über dem landesweiten Durchschnitt von 18,3 %.
Tagebucheinträge der Jahre 1931 und 1932
Zieht man die Tagebucheintragungen aus den Jahren 1931 bis 1932 von Otto Haberscheidt hinzu, so sieht man, wie viele Puderbacher der NSDAP nahe standen, Parteimitglieder waren bzw. im demokratiefeindlichen „Stahlhelm“, auch „Bund der Frontsoldaten“ genannt, organisiert waren und an ihren Veranstaltungen teilnahmen. Er schreibt:
24. Januar 1931 / Heute am Samstag fand nochmals eine Versammlung der NSDAP statt, in welcher Oberleutnant der Reichswehr a.D. Weirauch sprach. Die Beteiligung war wieder zahlreich.
15. Februar 1931 / Heute fand ein Aufmarsch des Stahlhelm (Bund der Frontdsoldaten) statt. In Dierdorf beginnend wurde er in Raubach fortgesetzt und marschierte dann anschließend um 5 Uhr durch Puderbach. Unter den ungefähr 700 (!) Teilnehmern befand sich auch Fürst Wilhelm von Wied. Nach Abschluß des Durchmarsches hielt Freiherr von Lüning auf dem Bahnhofsplatz eine Rede.
13. März 1932 / Bei der heutigen Reichspräsidentenwahl stimmten in Puderbach für Hindenburg 110, für Hitler 192, für Düsterberg (Stahlhelm) 88 und für Thälmann 5 (Stimmberechtigte).
10. April 1932 / Bei der heutigen zweiten Reichspräsidentenwahl stimmten für Hindenburg 93, für Hitler 292 und für Thälmann 7 Stimmberechtigte.
24. April 1932 / Bei der heutigen Wahl zum preussischen Landtag wurden in Puderbach an Stimmen abgegeben: NSDAP 286, Deutsch-Nationale Volkspartei (DNVP) 49, SPD 31, Deutsche Volkspartei (DVP) 14, Deutsche Landvolkpartei (CNBL) 8, Staatspartei 7, Kommunisten 6, Zentrumspartei 5, Wirtschaftspartei 4, Volksrechtspartei 4, Christlich-Sozialer Volksdienst 3, Nationale Sammlung Andreas (?) 2
Börsencrash und Weltwirtschaftskrise
Mitverantwortlich für die politische Radikalisierung in dieser Zeit war der Zusammenbruch der Aktienmärkte, beginnend mit dem „Schwarzen Donnerstag“ am 24. Oktober 1929 an der New Yorker Börse, und der damit einhergehenden Weltwirtschaftskrise. Die USA drosselten ihre ausländischen Investitionen und Kreditmittel, von denen insbesondere Deutschland stark abhängig war. Geldknappheit und Deflation waren die Folge, die wiederum einen Produktionsrückgang bewirkte. Entlassungen und Massenarbeitslosigkeit ließen nicht lange auf sich warten. Die Zahl der Erwerbslosen stieg bis Februar 1929 auf 3.229.871 Männer und Frauen an. Drei Monate zuvor waren „nur“ 1.968.397 Personen betroffen gewesen.
Arbeit durch Aufrüstung
Mit der Machtübernahme im Januar 1933, die Arbeitslosenzahl lag bei 4,8 Millionen, stießen die Nationalsozialisten ein noch nie dagewesenes Aufrüstungsprogramm an. Ab 1935 wurden Millionenbeträge in die Kriegswirtschaft gesteckt, finanziert durch sogenannte „Mefo-Wechsel“, durch den Verkauf von letztendlich wertlosen Reichsanleihen und später auch der Beschlagnahme jüdischen Vermögens. Betrugen die Rüstungsausgaben in den Jahren 1932/33 noch 7,5 % des Staatshaushalts, so waren es 1938/39 schon 60 %. Die Arbeiten an den Reichsautobahnen, die auch meinem Großvater an der A3 ein sicheres Auskommen gaben, dienten somit dem Ausbau und der Förderung der militärischen Infrastruktur.

Sinkende Arbeitslosenzahlen
In den „geschönten“ Arbeitslosenzahlen wurden Wehrmachtssoldaten herrausgerechnet, deren Zahl von 100.000 auf 500.000 Mann anstieg. Ab 1935 tauchten in der Statistik alle jungen Männer nicht mehr auf, die ihren zweijährigen Wehrdienst ableisteten. Und zuletzt seien alle Jugendlichen erwähnt, die 6 Monate Arbeitsdienst in den entsprechenden Lagern verrichteten und ebenfalls nicht mehr als arbeitssuchend gemeldet wurden.
Weiterführende Informationen
Das Thema in seiner Gänze und Fülle hier darzustellen, ist mir nicht möglich. Deswegen möchte ich Sie auf einige weiterführende Links hinweisen:
Über die Weimarer Republik
https://de.wikipedia.org/wiki/Weimarer_Republik
Über die Weltwirtschaftskrise
https://de.wikipedia.org/wiki/Weltwirtschaftskrise
Geldbeschaffung fürs Rüstungsprogramm/die sogenannte geräuschlose Kriegsfinanzierung
https://de.wikipedia.org/wiki/Ger%C3%A4uschlose_Kriegsfinanzierung
Literatur:
Dietz, Wolfgang / Der Landkreis Neuwied. Weimarer Republik-Nationalsozialismus-Nachkriegsjahre
Die Erniedrigung und Entrechtung jüdischer Bürger und politisch Andersdenkender
Dies ist mit Sicherheit eines der beschämensten Kapitel unserer Dorfgeschichte. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 beginnt die systematische Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung und das Kaltstellen politischer Abweichler. Die Reichspogromnacht am 10. November 1938 mit der Zerstörung der Puderbacher Synagoge bildet dabei einen traurigen Höhepunkt.
Den Schikanen hilflos ausgeliefert
Die Geschwister Levy, Karoline (geb. 1884), Jakob (1889) und Sara (1893), alle drei gutmütig aber vermutlich etwas einfältig, waren unverheiratet und lebten in äußerst bescheidenen Verhältnissen in einem baufälligem Fachwerkhaus in Urbach. Da sie ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten konnten, waren sie auf öffentliche Fürsorge angewiesen. Sie bekamen immer zum 1. des Monats auf dem Puderbacher Amt eine Sozialhilfe ausgezahlt, deren Höhe von der Bedürftigkeit abhängig war und der unmittelbaren Existenzsicherung diente.
Folgende empörende Geschichte erzählte mir ein Puderbacher, der die Begebenheit wohl selbst beobachtet hat. Karoline und Sara hatten sich von dem kärglichen Geldbetrag bei einem im Mühlendorf ansässigen Bauern ein paar Kartoffeln gekauft und befanden sich auf dem Rückweg nach Urbach.
Plötzlich fährt der Polizeihauptwachtmeister G. Bay mit einem Wagen an den Frauen vorbei, hält ein und fordert die beiden auf, ihm unverzüglich den Inhalt der Tasche zu zeigen. Die ängstlichen Schwestern öffnen den Beutel, er wirft einen flüchtigen Blick hinein und tritt unvermittelt dagegen. Der ganze Inhalt ergießt sich über die Straße und kullert in alle Himmelsrichtungen. Vermutlich unter dem höhnischen Lachen des Gendarms müssen die Schwestern die Kartoffeln wieder einsammeln.
Brutales Vorgehen gegen politisch Andersdenkende
Mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 beginnt die systematische Verfolgung der jüdischen Bevölkerung, sowie die Ausschaltung demokratischer Parteien und ihrer Mitglieder. Vor allem die SPD und die Kommunisten sind den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Den Reichstagsbrand am 27. Februar nehmen die neuen Machthaber zum Anlass, Parteizentralen zu besetzten und hochrangige linke Funktionäre zu verhaften. SA- und SS-Männer, die als Hilfspolizisten fungieren, gehen dabei extrem brutal und gewalttätig vor. Doch nicht nur in den Metropolen wie Berlin kommt es zu Übergriffen, sondern auch in kleineren Städten und Ortschaften.


Ein Zeugenbericht aus dem Jahr 1947 beschreibt auf eindringliche Weise, wie auch im Puderbacher Raum gegen Sozialdemokraten und Kommunisten vorgegangen wurde. Hierbei hat sich wieder einmal der damalige Polizeihauptwachtmeister Gustav Bay besonders hervorgetan. Am Freitag, den 24. März 1933 stürmt Bay zusammen mit dem SA-Sturmführer Bökenkrüger aus Neuwied, dem SA-Mann Gottfried, einem gewissen Günther, beide aus Koblenz, und einem nicht namentlich benannten Gestapo-Beamten in das Haus der Familie Kalbitzer in Linkenbach. Sie suchen den am 4. Juli 1905 geborenen Karl Friedrich Kalbitzer, um ihn in „Schutzhaft“ zu nehmen. Dieser war zunächst Parteimitglied der SPD, wechselt 1932 aber in die Kommunistische Partei Deutschlands. Zudem gehört er dem sogenannten „Reichsbanner“ an, eine politische Vereinigung zum Schutze der demokratischen Republik und seiner Verfassung.
Die Eltern Kalbitzers werden Zeugen des brutalen Vorgehens der „Beamten“. Kalbitzers Mutter berichtet wie folgt:
„Bei dieser Gelegenheit nahmen diese 5 Personen eine Durchsuchung der Wohnung nach Waffen vor. Mein Sohn wurde einem Verhör unterzogen, daß nur aus Drohungen mit Erschießen und Erhängen bestand, falls er nicht gestehen würde, Sabotage und ein hochverräterisches Unternehmen gegen den Bestand des neu errichteten dritten Reiches vorbereitet zu haben. Er habe ferner Waffen versteckt und mein Sohn soll ihnen zeigen, wo diese wären, oder das Haus ginge in Flammen auf und er würde erschossen oder erhängt“.
Um dem Stunden währenden Drangsalierungen zu entgehen, gibt Kalbitzer ein vermeintliches Versteck von Munition im angrenzenden Wald preis. „Natürlich fand man auch dort nichts“, so berrichtet Kalbitzers Mutter weiter. „Das brachte die Strauchritter derart in Harnisch, daß sie meinen Sohn in den Linkenbacher Steinbruch schleppten, um ihn angeblich dort zu erschießen. Hier vollzog sich ein Werk brutalster Art, denn mein Sohn wurde hier körperlich schwerstens mißhandelt, geschlagen und getreten. Der Polizeibeamte Gustav Bay hat nach dieser „Prozedur“ öffentlich geprahlt: „Den haben wir das Beten gelernt!“… Durch die Mißhandlung, insbesondere durch die Tritte, wurde meinem Sohn eine Niere losgetreten… Anschließend wurde mein Sohn durch Bay gefesselt und abgeführt, und trotz der Fesselung mußte er mit hocherhobenen Händen wie ein Schwerstverbecher, auf Anordnung von Bay, vor diesem hergehen, der ihm bedeutete, daß bei Fluchtversuch von der Schußwaffe Gebrauch gemacht würde“.
Die Gewalttätigkeiten der Männer richten sich auch gegen die Eltern. Der Mutter schlägt man brutal ins Gesicht, wobei sie mehrere Zähne verliert.
Einen Tag später taucht Bay erneut bei den Kalbitzers in Linkenbach auf, diesmal in Begleitung von annähernd 40 SA-Männern. Sie „umstellten unser Haus und dann fand unter hervorragender Führung des Pol.-Beamten Bay und einiger Gestapomenschen eine „Durchsuchung“ oder besser gesagt eine Durchstöberung der Wohnung statt, bei der die Beteiligten sich buchstäblich wie die „Barbaren“ benahmen“. Das ganze Haus wurde durchwühlt, Einrichtungsgegenstände beschädigt und die Kalbitzers gedemütigt. “ 7-8 mtr. kleingeschnittenes Holz, das im Schuppen am Hause lagerte, wurde aus Schikane in den Hof und die öffentliche Straße geworfen, die wir (mein Mann und ich) sofort wieder räumen mußten. Das alles geschah, wie schon erwähnt, unter Beteiligung und Aufsicht eines Polizeibeamten, als Hüter der öffentlichen Ordnung“.
In ihrer Zeugenaussage von 1947 weißt Juliane Henriette Kalbitzer den aufzeichnenden Beamten auf ein Ereignis der Jahre 1925-1930 hin, die Bay dazu veranlasst haben könnte, ihren Sohn „zur Strecke bringen zu wollen“. Bei einer Radioansprache des sozialdemokratischen Innenministers Karl Severing, die in einer Gastwirtschaft in Breitscheid übertragen wurde, äußert sich der anwesende Polizist Bay, dessen oberster Vorgesetzter Severing ist, abfällig und verächtlich über dessen Äußerungen. Karl Friedrich Kalbitzer ist damals Zeuge dieses Vorfalles und bringt diesen zur Anzeige. „Nun war B. der Todfeind meines Sohnes geworden“.
Nach seiner Verhaftung verbringt Kalbitzer drei lange Monate in Schutzhaft. Am 14. Juli 1933 erfolgt der Urteilsspruch durch das Oberlandesgericht Kassel, das die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens als erwiesen sieht und ihn zu einer zweijährigen Zuchthausstafe verurteilt. Desweiteren erkennt ihm das Reichsminsterium des Inneren seine Deutsche Staatsbürgerschaft ab.

Im März 1935 kehrt Kalbitzer als gebrochener Mann nach Linkenbach zurück. Der Vater ist während seiner Haftstrafe gestorben, die Mutter vermutet aus Kummer und Gram über die Geschehnisse. Die Furcht vor neuerlichen Schikanen und Verhaftungen sind so groß, daß er sich am Heiligen Abend desselben Jahres auf den Weg Richtung belgische Grenze macht. Seine Spur verliert sich in Frankreich, wo er möglicherweise an den Folgen der Mißhandlungen durch Bay und seine Helfeshelfer gestorben ist. (Beitrag vom 05.01.2023)
Reichsarbeitsdienst

Am 26. Mai 1935 erlassen die nationalsozialistischen Machthaber das Gesetz über den Reichsarbeitsdienst, in dem junge Männer und Frauen zwischen 18 und 24 Jahren verpflichtet werden, freiwillige Arbeit zu leisten. Untergebracht werden sie in extra dafür errichteten Lagern. In dem Gesetzestext heißt es:
„Der Reichsarbeitsdienst ist Ehrendienst am deutschen Volke. Alle jungen Deutschen beiderlei Geschlechts sind verpflichtet, ihrem Volke im Reichsarbeitsdienst zu dienen. Der Reichsarbeitsdienst soll die deutsche Jugend im Geiste des Nationalsozialismus zur Volksgemeinschaft und zur wahren Arbeitsauffassung, vor allem zur gebührenden Achtung der Handarbeit erziehen. Der Reichsarbeitsdienst ist zur Durchführung gemeinnütziger Arbeiten bestimmt“.
Die Disziplinierung und Erziehung der jungen Menschen im nationalsozialistischem Sinne spielt eine auffallend wichtige Rolle, wo hingegen die wirtschaftliche Bedeutung des freiwilligen Arbeitsdienstes zu vernachlässigen ist.
Vorläufer dieser Organisation war ein Beschäftigungsprogramm des Jahres 1931, der sogenannte Freiwillige Arbeitsdienst (FAD), den die Weimarer Regierung auf Grund der explodierenden Arbeitslosenzahlen der Weltwirtschaftskrise gegründet hatte.

Die Dienstzeit beträgt bei den jungen Männern 6 Monate und ist dem zweijährigen Wehrdienst vorgelagert. Sie arbeiten vornämlich in der Landwirtschaft, dem Siedlungs-, Straßen- und Autobahnbau. Nach Beginn des 2. Weltkriegs wird der Dienst sukzessive auf 6 Wochen reduziert und dient nur noch der militärischen Grundausbildung. Im Gegensatz wir der Einsatz der Frauen stetig verlängert, ab Juli 1941 auf 12 Monate und ab April 1944 auf 18 Monate, bis er schließlich im November 1944 ganz entfristet wird. Sie werden hauptsächlich in der Landwirtschaft eingesetzt.

Von den 21 Reichsmark Lohn, die den Männern für die körperlich schwere Arbeit pro Woche zustanden, wurden nur symbolische 50 Pfennige ausgezahlt. Der Rest wurde für Essen, Lagerunterkunft, Bekleidung u.a. einbehalten.

Das Lager in Puderbach

Um 1936 wird das Reichsarbeitsdienstlager in Puderbach errichtet und von einer Abteilung aus Ulm mit dem Namen „Albrecht Berblinger“ belegt. Es ist das größte Lager im Rheinland und bietet rund 80 Männern Platz. Die jungen Leute werden in der Landwirtschaft und im Straßen- und Autobahnbau eingesetzt.
Bilder des Lageralltags
Wieder einmal geht mein Dank an alle Puderbacherinnen und Puderbacher, die mich hier mit Unterlagen und Fotografien unterstützen. Dank dieser zahlreichen Leihgaben lässt sich das Äußere des Lagers, sowie der Alltag der jungen Männer und Frauen im RAD-Lager rekonstruieren.

Link:
http://neuengamme-ausstellungen.info/content/lagermodell/bild168.html


Vor dem Tor haben sich einige der verpflichteten Männer für ein Foto zusammengefunden. (Beitrag vom 13.01.2023)




Ganz links sieht man wieder einen der steinernen Löwen, die den Lagereingang flankieren. Bei dem Gebäude mit heller Fassade handelt es sich um das Haus des Domänendirektors Hachenberg an der Straße Zum Felsen. (Beitrag vom 14.01.2023)






Um 1939 dann werden die Männer zum Bau des Westwalls, ein militärisches Verteidigungssystem entlang der Westgrenze des Deutschen Reiches, das aus Bunkern, Stollen, Gräben und Panzersperren besteht, verlegt. Ihnen folgen die Arbeitsmaiden und ihre Führerinnen, die das Lager bis 1945 belegen und auf den Bauernhöfen Puderbachs und der Umgegend beschäftigt werden.
Erinnerungen einer Arbeitsmaid
Im folgenden möchte ich aus einem Zeitzeugenbericht einer früheren Arbeitsmaid zitieren, den Sie auch auf der Internetseite „LeMO – Lebendiges Museum Online“ wiederfinden. So oder so ähnlich mag der Lageralltag auch in Puderbach ausgesehen haben.
Link:
https://www.dhm.de/lemo/zeitzeugen/ursula-sabel-reichsarbeits-und-kriegshilfdienst.html

„Unsere Belegschaft bestand schließlich aus etwa 45 Maiden, einer netten Lagerleiterin (Führerin) und zwei Wirtschaftsführerinnen. Zu den Räumlichkeiten gehörten etwa 5 Schlafsäle, mehrere Führerinnenzimmer, 1 Tages- und Eßraum, ein Empfangszimmer, dann die notwendigen Nebenräume wie Küche, Wasch- und Bügelraum usw. In den ersten 6 Wochen gab es umfangreiche Unterweisungen über alle möglichen Themen: Sinn- und Bedeutung des RAD [Reichsarbeitsdienst], Verhalten im Lager und im Außendienst, Plichten der Bauersfamilien uns gegenüber, die landwirschaftlichen Besonderheiten im Westerwald, und nicht zuletzt Anweisungen für alle Tage.“



„Die (ersten) sechs Wochen Ausgangs- und Urlaubssperre vergingen wie im Fluge, dann fing der Außendienst an; jeweils 6 Wochen in einer bestimmten Familie. (…) Bei diesen Leuten habe ich mich sehr wohl gefühlt und es machte mir Spaß, viel draußen sein zu können. Ich half fast die ganzen sechs Wochen bei der Heuernte, was damals noch sehr mühsam war, ich mußte mich tüchtig plagen, um im Rhythmus beim Wenden des Grases mithalten zu können; eine ganz ungewohnte körperliche Anstrengung. Aber unsere Zeit am Tage war doch sehr begrenzt: morgens erschienen wir meistens erst nach 10.00 Uhr, und abends mußten wir schon um 18.00 Uhr wieder im Lager sein. Weil wir auch bei kleineren Hausarbeiten halfen, verging die Zeit schnell; ich habe sogar gelernt die Kühe zu melken.“


„Unsere Garderobe bestand aus: 2 blauen Baumwollkleidern mit kurzem Arm, 2 weißen Schürzen mit Latz (inzwischen grau geworden), 2 roten Kopftüchern, 2 Paar Stiefeln, 2 Paar dicken Socken, 1 Paar Halbschuhen, 1 braunen Kleiderrock, 2 weißen Blusen, 1 Jackenkleid (Kostüm), 1 Hut und dazu auch noch reichseigene Unterwäsche.“

„Mein nächster Auftrag hieß: „6 Wochen Innendienst“, das bedeutete wochenweise verschiedene Arbeiten im Lager zu verrichten. Am beliebtesten war der Blumendienst, man streifte ‚dienstlich‘ durch Feld und Wald und suchte Blumen für die Vasen. Hausarbeit oder Dienst in Küche oder gar Waschküche machte keiner gerne.“

„Meine Arbeitsdienstzeit habe ich auch noch aus einem anderen Grunde in guter Erinnerung: wir haben sehr oft und wirklich schön gesungen. Fast immer leitete unsere Lagerführerin die mehrmals wöchentlich stattfindende Singestunde. (…) Am Abend unseres Geburtstages durften wir im Speisesaal feiern. Man bekam zu diesem Zweck von daheim einen Kuchen geschickt, aus der Küche gab es etwas zu trinken (vielleicht Sprudel oder Limonade) und man verkleidete sich mit den reichseigenen Sachen, die sich im Lager fanden, macht Gesellschaftsspiele oder tanzte sogar.“


„Alles im Laufe der sieben Monate habe ich gerne mitgemacht, ob das Unkraut jäten, Jauchegrube ausleeren, Briketts aufstapeln oder Strohsäcke füllen hieß, mir war alles egal. Ich brauchte nicht wie andere Kameradinnen am Metermaß die abgelaufenen Tage unserer Zeit abzuschneiden. Für mich war es eine glückliche Zeit. Wegen der Dringlichkeit unserer Hilfe bei den Bauern wurde unsere Zeit von ursprünglich sechs auf sieben Monate verlängert.“
Der Zeugenbericht zeigt uns ein äußerst positives Erleben der Zeit im Reichsarbeitsdienst. Auch die Bilder aus dem Puderbacher RAD-Lager spiegeln diesen Eindruck wieder. Doch die Beschreibungen deuten auch an, daß es junge Frauen gab, die den ein Jahr währenden Pflichtdienst nicht gerne ausübten.
Laut den Beschreibungen von Frau Sabel schloß sich an den siebenmonatigen Reichsarbeitsdienst der sogenannte „Kriegshilfsdienst“ (KHD). Eingeführt im Jahr 1941 verpflichtete er die Frauen zu einem Arbeitseinsatz vornehmlich in Rüstungs- oder Verkehrsbetrieben, aber auch in sozialen Einrichtungen.
Lagerleiterin
Durch einen Zufall konnte ich 1995 mit der damaligen Lagerleiterin in Kontakt treten, die so freundlich war, mir einige wichtige Informationen und das ein oder andere Foto zur Verfügung zu stellen. Über den Arbeitsalltag schreibt sie:
„Die Arbeitsmaiden waren zur Hilfe bei den Bauern eingesetzt und arbeiteten in Dörfern um Puderbach. Die Arbeitszeit betrug 8 Stunden. Um 8 Uhr verließen sie gemeinsam das Lager und um 16 Uhr kehrten sie zurück. Die übrige Zeit war ausgefüllt mit Singen, Sport, politischen und landwirtschaftlichen Unterricht, Lesen, Volkstanz und Wandern.“





Im März 1945, die Alliierten sind an allen Fronten auf dem Vormarsch, übergibt die RAD-Leiterin das Lager mit seinen Baracken der Wehrmacht, die dort ein Lazarett einrichtet.
Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsarbeitsdienst
Hitlerjugend und Bund Deutscher Mädel

Mit dem Gesetz über die Hitlerjugend vom 1. Dezember 1936 und der Verordnung der Jugenddienstpflicht vom 25. März 1939 wird für Kinder und Jugendliche beiderlei Gechlechts die Mitgliedschaft in der nationalsozialistischen Nachwuchsorganisation Pflicht. Die Jungen werden in Jungvolk (10 bis 14 jährige) und Hitlerjugend (14 bis 18 jährige) und die Mädchen in Jungmädel und Bund Deutscher Mädel auf ihre vorgegebene Rolle in der nationalsozialistischen Weltanschauung vorbereitet. Neben der ideologischen Schulung, die stark antijüdisch, rassistisch und sozialdarwinistisch ist, geht es verstärkt um die körperliche Ertüchtigung vor allem der männlichen Jugendlichen, die auf den Kriegseinsatz vorbereitet werden sollen.


Man muß erwähnen, daß viele Jungen und Mädchen die mit der Hitlerjugend verbundenen Ausflüge, Wanderungen und anderen gemeinsamen Aktivitäten als positiv und gemeinschaftsfördernd empfanden. Die schleichende Indoktrinierung wird in solchen Fällen ausgeblendet und darf nicht übersehen werden.

Meine Großeltern und deren Geschwister waren 1936 bereits Erwachsene und hatten das Glück, in keine der beiden Jugendorganisationen eintreten zu müssen. Deswegen habe ich auch keinerlei Berichte, wie Jungvolk, Hitlerjugend, Jungmädelbund und Bund Deutscher Mädel in Puderbach und den umliegenden Ortschaften organisiert war. Deswegen bitte ich Sie, liebe Leserinnen und Leser um ihre Mithilfe! Teilen Sie Ihre bzw. die Erfahrungen Ihrer Eltern mit uns und machen damit dieses Stück Geschichte lebendig!
Um einen Einblick in Struktur und ideologische Ausrichtung der Organisationen zu bekommen, habe ich unten einige Links angehängt.
Hitlerjugend
https://de.wikipedia.org/wiki/Hitlerjugend
Bund Deutscher Mädel
https://de.wikipedia.org/wiki/Bund_Deutscher_M%C3%A4del
Zeitzeugenberichte auf LeMO, dem Lebendigen Museum Online
https://www.dhm.de/fileadmin/lemo/suche/search/index.php?q=Hitlerjugend
https://www.dhm.de/fileadmin/lemo/suche/search/index.php?q=Bund+Deutscher+M%C3%A4del
Reichserntedankfest

Mit der Bekanntgabe im Reichsgesetzblatt vom 28. Februar 1934 wurde das Erntedankfest zu einem der höchsten nationalen Feiertage des NS-Staates erhoben. Neben den kleineren Festlichkeiten in allen Gemeinden des Reichsgebiets, die vom zuständigen Ortsbauernführer organisiert werden mußten, fand eine große zentrale Feier am Bückeberg bei Hameln statt. Die Idealisierung der Bauernschaft im Zuge der Blut-und-Boden-Ideologie spielte dabei die Hauptrolle.
Der Ortsbauernführer Heinrich Deneu
Leider existiert die Fotografie, die meinen Urgroßvater mit dem Abzeichen des Ortsbauernführers zeigt, nicht mehr. Aber ich habe sie noch vor Augen, wie dieser kleine untersetzte Mann, das Abzeichen am Revers, stolz in die Kamera lächelt. Durch meine späteren Recherchen erfuhr ich, daß eine Parteimitgliedschaft in der NSDAP für das Amt nicht von Nöten war, was mich ein wenig beruhigte. Meine Großmutter erzählte immer, daß er den Posten verlor, weil er einem jüdischen Einwohner Puderbachs Kartoffeln verkauft hatte.

Organisation der Erntefeste
Der eigentliche Grund für seine Entlassung aus dem Amt waren aber die Puderbacher Erntedankfeste der Jahre 1934 und 1935, die so garnicht im Sinne der NS-Parteileitung durchgeführt worden waren. Hiervon erzählen die Tagebucheinträge des Landwirts Otto Haberscheidt. Er schreibt recht herabwürdigend und abschätzig über meinen Urgroßvater Heinrich, was mir in diesem Falle aber mehr als recht sein soll. In dem Eintrag heißt es:
„Wie man (am 30. September) 1934 in Puderbach Erntedankfest feierte.
Nachdem im vorigen Jahr die gesamte Bauernschaft des Kreises in Neuwied aufmarschierte, so wurde dieses Jahr von der Parteileitung angeordnet, die Festlichkeit an jedem Ort zu begehen. Hierzu stellte die Ortsleitung folgendes Programm auf: Sonntag morgen 10 Uhr Feldgottesdienst auf dem Fels, 3 Uhr Festzug durch den Ort, anschließend Feier im Weberschen Saal mit Tanzbelustigung. Durch die Ortschelle erging am Freitag die Bekanntmachung, daß bis Samstag Mittag alle Gebäude geflaggt und geschmückt sein sollen. Und am Samstag: Heute Mittag soll aus jedem Haus jemand auf dem Fels erscheinen, um sich am Schmücken des Sportplatzes zu beteiligen. Da wegen dem günstigen Erntewetter von den Bauern nur ganz wenige dieser Anordnung Folge leisteten, erließ man am Samstag die Bekanntmachung, daß es Pflicht sei, daß aus jedem Haus mindestens zwei Personen am Feldgottesdienst teilnehmen müßten. Da sämtliche Vereine und Verbände am Feldgottesdienst teilnehmen mußten, erreichte man, daß dieser einigermaßen besucht wurde.
Da es nun am Interesse der Bauern, sowie auch dem Bauernführer fehlte, sich am Festzug zu beteiligen, so war am Sonntag Mittag noch nichts geschehen an der Beteiligung, etwa einen Erntewagen zu schmücken, wie sonst üblich. Aus Angst vor der Partei eilte nun der Ortsbauernführer Heinrich Deneu durchs Kirchdorf, um Bauern zu werben für den Festzug. Aber das Geschick wollte es so, daß sich außer dem Ortsschulzen (Gemeindebürgermeister) Paul Schäfer, dem Presbyter Otto Schneider und noch vier Bauern keiner für die Sache bereden ließen.
Die Zeit war inzwischen schon herangerückt, daß beim Denkmal von 1870-71 angetreten werden sollte. Und so zog sich jeder einen blauen Arbeitsjacken an, nahm das erste beste Gerät, Sense, Gabel oder Karst auf die Schulter und marschierte los. Beim Antreten ließ man sich in der Wirtschaft Weber eine Flasche füllen, um etwas Stimmung in die kleine Kolonne zu bringen. Unter dem Klange der Musik an der Spitze der Verbände und Vereine, marschierten nun unsere Bauern mit ihrem Ortsbauernführer, Schulzen und Presbyter, abwechselnd den Inhalt der Flasche prüfend, dem Kirchdorf zu. Erntedankerfüllt ließ man die Flasche in der Wirtschaft Kasche und beim Rückmarsch zum Mühlendorf nochmal in der Wirtschaft Hümmerich nachfüllen. Nun waren bereits unsere Bauern so heiter, daß sie mit Gesang und Johlen durchs Mühlendorf und dann in den Weberschen Saal hineinzogen, an deren Stimmung sich die im Festzug Folgenden ergötzten.“

Letzte Chance
Trotz des für die NS-Parteileitung eher peinlichen Ablaufs des Festumzuges im Jahr 1934, erhält mein Urgoßvater Heinrich 1935 erneut die Möglichkeit, den Festakt mitzugestalten. Diesmal mangelt es nicht an Teilnehmern oder Festwagen. Die Parteileitung nimmt stattdessen Anstoß an einem der Schriftbänder, die die Bauern verfasst haben. Otto Haberscheidt berichtet wie folgt:
„Entsprechend des Erntefestes im vergangenen Jahr, wurde sich in diesem Jahr von Seiten der Bauern etwas mehr beteiligt. Durch frühzeitiges Zugreifen des Ortsbauernführers Heinrich Deneu standen bei Beginn des Festzuges zwei geschmückte Erntewagen und einige Wagen, alte Sitten und Gebräuche darstellend, zur Teilnahme bereit. Auch beteiligte sich Raubach mit zwei und Dernbach mit einem Wagen.
Schon gleich zu Beginn des Festzuges wurden einige Gemüter der NSDAP-Leitung erregt über den Spruch an einem Wagen, welcher lautete: „Von morgens früh bis Abendrot, der Bauer kämpft ums täglich Brot, drum Schulze tu dir überlegen, wie´s steht mit unsern Feldeswegen. Auch tut der Bauer stets beklagen, den meisten Wildschaden müsse er selber tragen. Drum tun wir jedem raten, wer Deutscher will sein: bekennt euch zu Taten, der Bauer kennt keinen Schein“. Die Bauern hatten hiermit ihre Umzufriedenheit gegenüber dem Schulzen (Gemeindevorsteher) Paul Schäfer und dem Polizisten Gustav Bay zum Ausdruck gebracht, welcher als Jagdaufseher bei den Wildschaden-Schätzungen die Hauptperson spielte. Unter dem Klange der Musik bewegte sich der Zug vom Denkmal von 1870 zum Fels. Vorher hatten die Bauern schon um den ersten Platz im Zuge mit der Parteileitung gekämpft, da diese wegen der Schrift auf dem Wagen verärgert war. Doch als die Feier auf dem Fels beendet war, lies man die Bauern bei dem geplanten Zug durch den Ort ohne die Musik allein marschieren. In Bezug auf diese Volksgemeinschaft wurde von Seiten der politischen Leitung den Bauern schon jetzt jede Beteiligung am Erntefest fürs nächste Jahr abgesagt. Mit Tanz im Weberschen Saal nahm das Fest dann seinen Ausklang.“

Abgesetzt
Nach dieser öffentlichen Kritik an den Würdenträgern des Ortes und auch der Partei wird meinem Urgroßvater Heinrich das Amt des Ortsbauernführers entzogen und dem Landwirt Heinrich Göbler aus dem Mühlendorf übertragen. Für den 4. Oktober 1936 muß er nun den Erntedankumzug organisieren. Otto Haberscheidt schreibt:

„Im Laufe des Jahres (1936) war der Ortsbauernführer Heinrich Deneu auf Grund des Erntefestes von 1935 von der Partei abgesetzt und an dessen Stelle Heinrich Göbler ernannt worden. An die Stelle des verzogenen Schulzen Paul Schäfer war Simon Udert als Bürgermeister berufen worden. Die Tage vor dem Erntefest verliefen in dieser Beziehung ruhig, da die Bauern dem Ortsbauernführer erklärt hatten, sich infolge der Behandlung im vorigen Jahre, an nichts zu beteiligen. Um nicht aufzufallen, sahen sich Amtsbürgermeister Günther, Ortsbürgermeister Udert und Polizist Bay am Abend vorher veranlasst, den Erntebaum selbst aufzustellen, wozu ihnen nur eine Schar Kinder behilflich war. Da weiter niemand zugegen war, mußte eine geplante Festrede ausfallen. Am Erntefest beteiligte sich außer Parteimitgliedern und schwach vertretenen Vereine von Bauern nur der neuernannte Ortsbauernführer, welcher sich mit seinem Wagen beteiligte, auf welchem er seinen Siloaufsatz aufgestellt und bei dem Festzug eine Schar Kinder das Festtreten des Futters markieren ließ. Anschließend an den Festzug fand dann als Hauptakt im Weberschen Saal Tanzbelustigung statt.“

Links:
Über das Reichserntedankfest
https://de.wikipedia.org/wiki/Reichserntedankfest
Über den Ortsbauernführer
https://de.wikipedia.org/wiki/Ortsbauernf%C3%BChrer
Jeder in der Bevölkerung ist ihnen begegnet – Zwangsarbeit im Dritten Reich
Mehr als 20 Millionen Männer und Frauen aus den von Hitler-Deutschland besetzten Gebieten werden während des 2. Weltkriegs zum Arbeitseinsatz in Rüstungsbetrieben, auf Baustellen, in der Landwirtschaft, im Handwerk oder in Privathaushalten gezwungen. Sie sollen die im Kriegeinsatz befindlichen Männer der Deutschen Wehrmacht ersetzen. Die deutsche Kriegswirtschaft, Industrie und Landwirtschaft wäre ohne ihr Zutun zusammengebrochen. Ein Teil der Betroffenen ist den ausländischen Zivilarbeitern zuzuordnen, die teils noch freiwillig, aber auch schon unter Druck rekrutiert werden. Der überwiegende Teil aber sind Kriegsgefangene und die sogenannten „Ostarbeiter“, die unter besonders widrigen und menschenverachtenden Bedingungen ihre Arbeit ableisten müssen. Ebenfalls nicht zu vergessen seien unsere früheren jüdischen Nachbarn, die bereits ab 1938 Zwangsarbeit ableisten. An dieser Stelle sei an ihr Schicksal erinnert.


Französische Zivilarbeiter oder Kriegsgefangene?
Ich bin mir nicht sicher, ob die bei den Bauern in Puderbach eingesetzten französischen Zwangsarbeiter, rekrutierte Zivilarbeiter oder inhaftierte Kriegsgefangene waren. Wahrscheinlich gehörten sie beiden Gruppen an. Das Verhältnis zwischen der hiesigen Landbevölkerung und den Arbeitern kann als freundlich und entspannt angesehen werden, wie einige Fotoaufnahmen und zahlreiche Erzählungen glaubhaft vermitteln.




Entlohnung
Den Zwangsarbeitern und Arbeiterinnen steht eine Entlohnung zu, die sich an Lohnsätze vergleichbarer deutscher Arbeiter richtet. Jedoch werden ihre Arbeitslöhne viel stärker besteuert und Kosten für Unterkunft, Verpflegung und ähnliches werden ebenfalls abgezogen. Noch schlimmer ergeht es den Ostarbeitern und Kriegsgefangenen. Die oftmals in eigenen Lagern untergebrachten Arbeitskräfte erhalten ein sogenanntes Lagergeld, das nur dort gültig ist. Den eigentlichen Lohn behält die deutsche Lagerleitung ein.
Die Entlohnung der jüdischen Zwangsarbeiter scheint noch schlechter ausgefallen zu sein, wie ein Schriftwechsel zwischen der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, die für die arbeitsfähigen Männer und Frauen zuständig ist, und dem damaligen Amtsbürgermeister Günther zeigt. Für die körperlich schwere Arbeit bei dem Bauunternehmer Müller in Woldert bekommen Max Cahn und Jakob Levi in der Stunde nur 40 Pfennige ausgezahlt, obwohl ein Hilfsarbeiter zu dieser Zeit bereits mit 63 Pfennigen vergütet wird.


Arbeitsbuch für Ausländer
Alle Zwangsarbeiter müssen einen Ausweis bei sich tragen, das sogenannte „Arbeitsbuch für Ausländer“, in dem wie in einem normalen Ausweisdokument Name, Geburtsdatum und Geburtsort vermerkt sind. Zudem wird angegeben, bei wem der Fremdarbeiter zur Zeit beschäftigt ist.



Die Ostarbeiter und sowjetischen Kriegsgefangenen
Seit Dezember 1941 werden durch eine Verordnung des Reichsministers Alfred Rosenberg alle Bewohner und Bewohnerinnen der besetzten Ostgebiete einer Arbeitspflicht unterstellt. Davon betroffen sind Männer bis zum Alter von 65 Jahren und Frauen zwischen 15 und 45 Jahren vornehmlich aus der Ukraine, aus Polen und Russland. Den örtlichen Behörden werden gleichzeitig Kontingente zu rekrutierender Zwangsarbeiter vorgeschrieben. Aus Verzweifelung und Angst vor drakonischen Strafen bei Zuwiderhandlung greifen die lokalen Verwaltungen zu immer drastischeren Mitteln. Unbeteiligte Passanten werden auf offener Straße ergriffen und zu den Sammelstellen gebracht, wo sie mit Gütterwaggons weiterverfrachtet werden.
Im Sommer 1942 wird zusätzlich für alle Jugendlichen aus der Ukraine zwischen 18 und 20 Jahren ein zweijähriger Pflichtdienst im Reich eingeführt.

Ostarbeitererlass
Am 20. Februar 1942 treten die sogenannten „Ostarbeitererlasse“ in Kraft, die das Leben der osteuropäischen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen und das der sowjetischen Kriegsgefangenen extrem beschneidet. Zu den diskriminierenden Ver- und Geboten gehören u.a. das Tragen eines Stoffstreifens mit der Aufschrift „Ost“, Verbot jeglichen Kontakts mit Deutschen, gesonderte Unterbringung der Ostarbeiter nach Geschlechtern getrennt, bei Nichtbefolgen von Arbeitsanweisungen droht den Zwangsarbeitern die Einweisung in ein Arbeitserziehungslager, schlechtere Verpflegung und weniger Lohn als deutsche Arbeiter, Verbot, Geld und anderen Wertgegenstände zu besitzen usw.
Auch die Benutzung bzw. der Besitz eines Fahrrads ist den Ostarbeitern und Ostarbeiterinnen strengstens verboten. Wenn man diesen Hintergrund kennt, bekommt die Geschichte, die meine Großmutter von Jewa erzählte, dem russischen Mädchen, das auf dem Bauernhof meiner Urgroßeltern arbeiten mußte, eine ganz andere Bedeutung. Sie wagt es, sich das Fahrrad meiner Großmutter zu greifen und mit meinem damals vier- oder fünfjährigen Vater eine rasante Spritztour über die Mittelstraße zu unternehmen.
Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Um 1950, fünf Jahre nach Kriegsende, leitet die Koblenzer Staatsanwaltschaft einen Verfahren ein, in dem 15 Männer und eine Frau wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt werden. Den Betroffenen, die aus Puderbach und den umliegenden Ortschaften stammen, werden neben den gewalttätigen Ausschreitungen in der Pogromnacht vom 10. November 1938 auch Übergriffe auf politisch Andersdenkende, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene vorgeworfen. Eine Person steht besonders im Fokus der Untersuchungen, der frühere Ortspolizist G. Bay. Hier seien zwei der vielen Zeugenaussagen aufgeführt, die deutlich machen, wie Bay gegen die Fremdarbeiter vorging.


Links:
Über das große Thema Zwangsarbeit
https://de.wikipedia.org/wiki/NS-Zwangsarbeit
https://www.bundesarchiv.de/zwangsarbeit/
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/industrie-und-wirtschaft/zwangsarbeit.html
Besonders hinweisen möchte ich auf die zahlreichen Interviews mit Betroffenen, die das Archiv für Zwangsarbeit zur Verfügung stellt.
https://www.zwangsarbeit-archiv.de/zwangsarbeit/zwangsarbeit/zwangsarbeit-begriffe/index.html
Kriegszeit in Puderbach 1939-1945
Falls Sie die Beiträge über den Beginn des 1. Weltkriegs bzw. über die Reichserntefeste in Puderbach schon einmal gelesen haben, so werden Sie sich an die Tagebuchaufzeichnungen des Landwirts Otto Haberscheidt erinnern. Der gebürtige Puderbacher hatte bereits in jungen Jahren damit begonnen, wichtige Ereignisse seines persönlichen Lebens sowie der Ortsgeschichte schriftlich festzuhalten. Eines seiner Kapitel beschreibt die Geschehnisse in Puderbach während der Kriegsjahre 1939 bis 1945 sowie der ersten drei Jahre der Nachkriegszeit.
Am 8. Mai 2025 jährte sich die Kapitulation Nazi-Deutschlands und das Kriegsende bereits zum 80sten Mal. Wie es schon unser früherer Bundespräsident Richard v. Weizsäcker in seiner denkwürdigen Rede am 8. Mai 1985 im Bundestag sagte, sollte man diesen Jahrestag des Endes des 2. Weltkriegs nicht als Niederlage, sondern als Tag der Befreiung von einem Unrechtsregime begreifen.
Den diesjährigen Gedenktag nehme ich zum Anlass, um aus den handschriftlichen Aufzeichnungen Otto Haberscheidts zu zitieren. 1939 beginnt er seine Eintragungen wie folgt:
1939
Nach Beendigung des Polenfeldzugs durchzogen, infolge der Truppenverschiebungen nach dem Westen, öfters motorisierte Truppen unseren Ort, ohne daß sie Quartier bezogen.
Am 29. Oktober erhielten wir die erste Einquartierung. Es waren fünf Fliegernachschubkolonnen mit einer Stärke von je ungefähr 30 Mann mit 12 Last- und einem Personenwagen. Die Mannschaften waren meistens Sachsen und ein großer Teil mit ihren eigenen Wagen eingezogen worden. Da diese keine militärische Ausbildung erhalten hatten, ist erklärlich, das jede Disziplin in der Truppe fehlte und sie deshalb der „Kriegerverein“ genannt wurde.
Anmerkung: Bei der Kolonne könnte es sich um das Nachschubbataillon 542 bzw. 543 handeln. Aufgestellt im August 1939 im Wehrkreis IV (Sachsen) wurden die Männer zunächst in Polen eingesetzt. Von dort führte sie ihr Weg an die Westfront.
Da sich der Angriffskrieg im Westen durch Munitionsmangel nach dem Polenfeldzug, schlechtem Wetter im November 1939 und dem dann folgenden Wintereinbruch weiter verzögerte, dauerte die Einquartierung bis ins Frühjahr 1940.

Einquartierungen, Soldaten der Waffen-SS mit ihren Lastkraftwagen auf dem Hof Schulze Böckenhoff. Mitglieder einer motorisierten SS-Einheit aus Österreich, die von Herbst 1939 bis Frühjahr 1940 in Raesfeld stationiert war. (Bildquelle: Bildarchiv/Bildatenbank LWL)
Im oberen Kirchdorf lag die „Stiefelkolonne“, so genannt nach ihrem Führer Leutnant Stiefel. In den Küchenräumen des Gemeindesaals hatten sie ihre Küche und Schreibstube eingerichtet. Einen Saal benutzen sie als Speiseraum, in welchem sie auch ihren Innendienst, oder richtiger, ihre Zusammenkünfte abhielten. In einem Saal hatten sich verschiedene einquartiert, welche wegen ihrer nächtlichen Ausschweifungen kein Bürgerquartier erhalten konnten. Ihren Hauptdienst hielten sie in den Wirtschaften ab, aber an den Gottesdiensten beteiligten sich in ganz seltenen Fällen nur einige, obgleich die größte Mehrheit evangelisch war.

Einquartierungen, Soldaten der Waffen-SS im Haus Hüttemann, genannt Könning mit Klothilde Hater, Elisabeth Hater, Lydia Föcking, Maria Föcking und Hedwig Hater. Die Männer waren Mitglieder einer SS-Einheit aus Österreich, die von Herbst 1939 bis Frühjahr 1940 in Raesfeld stationiert war. (Bildquelle: Bildarchiv/Bildatenbank LWL)
Einen entschieden besseren Eindruck machten dagegen Offiziere und Mannschaften der 1., 2. und 4. Kompanie des Inf(anterie) Reg(iments) 75, welche am 3. November noch dazu einquartiert wurden, jedoch am 13. November wieder abrückten in die Eifel.
1940
Am 5. März 1940 bezog dann die 6. Komp. vom Inf. Reg. 75 wieder Quartier in Puderbach. Die Fliegernachubkolonnen verließen am 14. März den Ort und wurden in die Gegend um Trier verlegt. Die 6. Komp. 75 wurde am 25. April in die Eifel verlegt und drei Tage später erhielten wir die 5. Komp. und Bataillonsstab vom 13. Inf. Reg. Am 10. Mai rückte das Regiment wieder ab zur Offensive nach dem Westen.

Warum befanden sich so viele Soldaten in dem kleinen Westerwalddorf? Waren die Kompanien für den zwanzig Tage später beginnenden Westfeldzug gedacht? Am 10. Mai 1940 überfielen Deutsche Wehrmachtstruppen die Niederlande, Belgien, Luxemburg und Frankreich.
So hatte ich dieses Foto unter dem Menüpunkt „Puderbach in alten Ansichten“ eingestellt. Beim Lesen der Zeilen von Otto Haberscheidt wurde mir klar, daß es sich bei den Soldaten um die 6. Kompanie Infanterie Regiment Nr. 75 handeln muß. Vom 15. März bis zum 25 April 1940 waren die Männer in Puderbach untergebracht. Die beiden Bilder vermitteln einen Eindruck, wie groß die Einheit war und wie beschwerlich die Einquartierungen seit Oktober 1939 für die Puderbacher Dorfbevölkerung gewesen sein müssen. (Beitrag vom 18.05.2025)

Seit dieser Zeit erhielten wir keine Einquartierung mehr. Bei Beginn der Kampfhandlungen im Westen überflogen dauernd Kampfgeschwader unsere Gegend. Weiter war von diesen Kämpfen in der Heimat nichts zu merken. Erst nach Abschluß der Kämpfe in Frankreich, überflogen öfters bei Nachtzeit englische Flieger unsere Gegend. Fliegerabwehr am Rhein setzte dann ein und abgeworfene Leuchtfallschirme der Flieger leuchteten bis auf den Westerwald. Öfters warfen die feindlichen Flieger auch Flugblätter ab, so das manchmal die Felder voll lagen. Auch wurden Brandplättchen abgeworfen, welche sich bei einer gewissen Sonnenwärme entzündeten.


Auch für den damals 21jährigen Paul Kaulbach dürfte das Aufbewahren des Zettels ein Wagnis gewesen sein. (Beitrag vom 18. Mai 2025)
Anmerkung: Die Brandplättchen über Puderbach wurden im Zuge der Operation „Razzle“ von der Royal Air Force abgeworfen. Die wie Pellets geformten Plättchen waren fünf mal fünf Zentimeter groß, einen Millimeter dick, von grauer oder schwarzer Farbe und wogen fünf Gramm. Das in der Mitte befindliche Loch war mit einem Stück Phospor und einem Phospor getränkten Stück Gaze versehen. Durch Sonneneinstrahlung sollten sich die tausendfach abgeworfenen Brandplättchen entzünden und damit die für die Versorgung der deutschen Bevölkerung wichtige Getreideernte vernichten.
Der erste Einsatz dieser Brandbeschleuniger erfolgte im August 1940 in einem Gebiet südöstlich der Ruhr und somit auch über Teilen des Westerwalds. Durchsetzen konnte sich dieses Angriffsverfahren nicht und bereits 1942 wurde das Manöver wieder eingestellt.
1941
Angeblich wegen Fliegerbeobachtung war seit Kriegsbeginn Läuteverbot und durfte täglich nur einmal drei Minuten geläutet werden. Seit Frühjahr diesen Jahres wurde dieses Verbot aufgehoben, obgleich die Fliegerangriffe immer häufiger wurden.
1942
Die Fliegerangriffe nehmen immer mehr zu. Nicht selten fliegt der Engländer auch bei Tage ein. Obwohl unser Ort bis jetzt von Bombenabwürfen verschont blieb, wurden jedoch in der Umgebung einige Bomben abgeworfen, richteten aber nur geringen Schaden an. Oft zogen bei Nacht feindliche Flieger stundenlang über unseren Ort vorüber. Für gute Verdunkelung des Ortes wurde strengstens gesorgt. Zwecks Alamierung bei Bombenabwürfen mussten die Einwohner abwechselnd Nachtwache halten.

Deutlich größer fielen die Zerstörungen am 11. August aus. 154 britische Kampflieger, deren Ziel die Stadt Mainz war, warfen Nachts gegen 1.15 Uhr zwischen 600 u. 800 Stab-Brandbomben über den Stadteil Höhr ab. Vierzehn Fabrik- bzw. Geschäftsgebäude wurden ein Raub der Flammen, sowie neun Privathäuser. Auf dem Foto sehen wir das Hotel Meurer, das völlig ausbrannte. (Beitrag vom 19.05.2025 / Bildquelle: https://www.hoehr-grenzhausen.de/neuigkeiten/2025/januar/vor-80-jahren-bombadierung-von-hoehr-grenzhausen/#:~:text=Bereits%20im%20August%201942%20wurde%20die%20Stadt,heutigen%20Alexanderplatz%20durch%20Brandbomben%20vollst%C3%A4ndig%20zerst%C3%B6rt%20wurde.&text=Seine%20Frau%20Irma%20(36)%20sowie%20die%20Kinder,(7)%20und%20Karin%20(1)%20kamen%20ums%20Leben.)
Anmerkung: An dieser Stelle folgt im Tagebuch von Otto Haberscheidt der Bericht über den Abtransport der zweiten Kirchenglocke namens Maria, die für Rüstungszwecke eingeschmolzen werden sollte. Da ich schon unter dem Menüpunkt „Die Evangelische Kirchengemeinde“ darüber berichtet habe, möchte ich an dieser Stelle darauf verzichten.
Auch der Wolkenbruch, der sich am 24. Juni 1942 ereignete und der bei einigen Dorfbewohnern für überschwemmte Keller und Wohnräume sorgte, soll erwähnt, aber nicht ausgeführt werden.
1943
Mit Ausnahme von verschiedenen Durchflügen von feindlichen Fliegern, ereignete sich Anfang des Jahres nichts von Bedeutung.
Mai In der Nacht vom 29. zum 30. Mai wurde die Bevölkerung aus dem Schlaf geweckt, als feindliche Flugzeuge eine Stunde lang, Welle auf Welle folgend, unseren Ort überflogen.
Anmerkung: Bei den feindlichen Fliegern dürfte es sich um britische Bomber gehandelt haben, die u.a. einen Angriff auf die rund 186.000 Einwohner zählende Stadt Wuppertal-Barmen flogen. Insgesamt 719 Maschinen griffen in den Abendstunden des 29. Mai 1943 von Südwesten kommend das Zentrum Barmens an und warfen 920 Tonnen Spreng- und 1.014 Tonnen Brandbomben über der Innenstadt ab. Der anschließende Feuersturm zerstörte 80 Prozent der Gebäude und kostete 3380 Personen das Leben, der bisher größte Verlust an Menschenleben bei einem einzelnen Luftangriff auf das Deutsche Reich.




Rund zwei Wochen vorher hatten 2.000 Wehrmachtssoldaten und SS-Männer den Aufstand des Warschauer Ghettos blutig niedergeschlagen und die verbliebenen 43.000 jüdischen Einwohner in Vernichtungslager deportiert.
Juni Dasselbe wiederholte sich in der Nacht vom 29. zum 30. Juni. Bei diesem Durchflug wurden in Altenkirchen einige Brandbomben abgeworfen, wodurch zwei Häuser abbrannten.
Anmerkung: Dieser Luftschlag dürfte der Kölner Rheinmetropole gegolten haben. Gegen 1 Uhr nachts heulten die Sirenen in der Stadt und warnten die 560.000 Einwohner vor dem bevorstehenden Luftangriff. Als die 500 Flugzeuge Köln erreichten, warfen sie etwa 67 Luftminen, 1.000 Sprengbomben, 158.000 Brandbomben und 4.000 Phosporbrandbomben ab. Besonders die Luftminen, deren Druckwelle reihenweise Dächer abdeckte und Häuser zum Einsturz brachte, sowie die Phosporbrandbomben, die sich nicht löschen ließen, waren der Schrecken der Bevölkerung. Eine Augenzeuge erinnerte sich wie folgt:
„Ein einzig großes Feuermeer, wohin man auch sah. (…) Das Dom-Hotel brannte. Das Café Reichard brannte. Ich bin am Heinzelmännchenbrunnen vorbei zum Rhein gelaufen, dort brannte es auch.“
Bilanz des Angriffs: 4.377 Tote, vermutlich ebenso viele Verletzte, 6.300 zerstörte Gebäude, darunter 24 Schulen, 2 Krankenhäuser und 17 Kirchen und die Zahl der Obdachlosen stieg auf 230.000.
Nur viereinhalb Monate zuvor, am 2. Februar 1943 hatte die 6. Armee in Stalingrad nach wochenlanger Einkesselung kapituliert. Eine halbe Millionen Russen verloren ihr Leben, sowie 150.000 deutsche Soldaten. Immer weniger Deutsche glaubten an die Mär des Endsiegs. Doch Reichsminister Goebbels rief vierzehn Tage später einer ausgewählten Menge zu:
„Wollt ihr den totalen Krieg? (…) Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt vorstellen können?“
Juli In der Nacht vom 7. auf den 8. Juli wiederholte sich das mit Überflügen, ebenfalls die nächste Nacht, nur flogen diese in östlicher Richtung an unserem Ort vorbei. Am 30. Juli flogen mehrere Staffeln am Tag über unsern Ort, ebenfalls die Nacht darauf, diese aber warfen beim Durchflug eine Unmenge an Staniolstreifen ab, die bisher noch unbekannt waren.
Anmerkung: Zur Abwehr der allierten Bomberstaffeln setzte die deutsche Wehrmacht zunächst Flakgeschütze sowie Tag- und Nachtjäger ein. Mit Ausweitung der großen Flächenbombardements kam eine neue Technologie zum Einsatz, die sogenannten Funkmessgeräte, die es ermöglichten, herannahende Fliegerverbände durch elektromagnetische Wellen (Radar) zu orten und anzugreifen.
Als die Zahl abgeschossener britischer Bomber immer mehr zunahm, befahl Großbritanniens Premierminister Winston Churchill 1943 die Verwendung der sogenannten Geheimwaffe „Windows“, der Störung der Radargeräte durch den großflächigen Abwurf von abertausenden von Staniolstreifen. Die Methode war bereits seit über einem Jahr bekannt, wurde aber, aus Furcht vor dem Einsatz im eigenen Land, nicht angewendet.
Erstes Opfer dieser sehr erfolgreichen Radarstörung war die Hansestadt Hamburg. Ab 24. Juli 1943 flogen britische und amerikanische Luftstreitkräfte die 1.5 Millionen Einwohner zählende Großstadt an und warfen ganze Wolken von Silberpapierstreifen über der Metropole ab. Fazit der sogenannten „Operation Gomorrha“, die bis zum 3. August andauerte: Ganze Stadtviertel waren durch Bombardement und anschließendem Feuersturm verwüstet und unbewohnbar, 34.000 Frauen, Männer und Kinder verloren ihr Leben und 125.000 wurden verletzt.
August Heute am 15. August gegen 10 Uhr überflogen mehrere feindliche Flieger in westlicher Richtung unsern Ort. Hierbei kamen es zu einem kurzem Zusammenstoß mit unsern Jägern. Nach einem gegenseitigem Maschinengewehrfeuer verschwanden sämtliche Flugzeuge in den Wolken bis auf ein feindliches, welches einen Brandstreifen hinterließ und in Richtung Koblenz davonflog. Die Besatzung soll schon bei Vallendar abgesprungen sein.
Heute Mittag den 19. August hörte man, wie starke Fliegerverbände rheinabwärts zogen. Kurze Zeit darauf überflog, aus östlicher Richtung kommend, ein Verband von ca. 80 und folgend einer von ca. 100 feindlichen Fliegern unseren Ort. Sie wurden verfolgt von nur zwei unserer Jäger, welche, sobald der Feind das Feuer eröffnete, wieder abbogen.
In der Nacht vom 27. auf den 28. August gegen 1 Uhr überflogen starke feindliche Verbände unsern Ort und kamen gegen 3 Uhr wieder zurück, wahrscheinlich vom Angriff auf Nürnberg.
Anmerkung: Ein damals Zehnjähriger erinnert sich an die Zerstörungen in dem zu Nürnberg gehörenden Stadtteil Laufalmholz:
Nach dem verheerenden Bombenangriff auf den Nürnberger Osten vom 27. auf den 28. August 1943, in dem mein Heimatstadtteil Laufamholz zu großen Teilen vernichtet wurde, mussten wir 10-jährigen Kinder wieder unsere Schule aufsuchen. Sie war nur teilweise zerstört worden, sodass wir noch einige Klassenräume nutzen konnten.
Von unserem Haus aus war es ein Fußweg von etwa zehn bis 15 Minuten. Dieser sonst so vertraute Weg bot nun ein grauenvolles Bild: Die Häuser unserer direkten Nachbarn waren zum Teil ausgebrannt und nur noch rauchende Ruinen. Circa 400 Meter hinter meinem Elternhaus war eine Luftmine niedergegangen, die drei stattliche Mehrfamilienhäuser vollständig pulverisiert hatte. Von ihnen waren nur noch Schuttberge übrig. (…)
Am Abend des 30. August überflogen in westlicher Richtung feindliche Flieger unsern Ort. Ein Flieger setzte sich über uns von dem Verband ab und setzte eine Reihe von ca. 20 Leuchtschirmen ab.
Anmerkung: Die von Otto Haberscheidt erwähnten Leuchtschirme bzw. Leuchtkranaten dienten eigentlich dazu, die Gefechtsfelder in der Nacht auszuleuchten und wurden von allierten Fliegerverbänden bei ihren Luftangriffen auf deutsche Ziele genutzt. 1944 und 1945 fanden sogenannte Magnesium-Lichtkaskaden ihren Einsatz, im Volksmund auch „Christbäume“ genannt, die die verdunkelten Städte in gleißend helles Licht tauchten und den Weg frei machten, für die nachfolgenden Bomberstaffeln.
In der Nacht vom 30. zum 31. August warf ein Flugzeug Flugblätter und Lebensmittelkarten ab.
Anmerkung: Bei meinen Nachforschungen konnte ich keinen Beleg finden, daß Lebensmittelkarten über deutsches Gebiet abgeworfen worden sind.
September In der Nacht zum 1. September überflogen starke feindliche Verbände unsern Ort.
24. September Abends von 10 bis 12 Uhr Durchflug feindlicher Fliegerverbände. Angriff auf Darmstadt, Mannheim und Ludwigshafen.
Anmerkung: 29 Britische Flieger warfen am Abend des 24. September 1942 51 Spreng- und 2.779 Brandbomben über das rund 110.000 Einwohner zählende Darmstadt ab. Vor allem die Allstadt mit ihren eng stehenden Fachwerkhäusern, aber auch ganze Häuserzeilen im Martins- bzw. Johannesviertel, wurden ein Raub der Flammen. 149 Menschen kamen ums Leben, 278 wurden zum Teil schwer verletzt.
Fortsetzung folgt…