Nationalsozialismus und 2. Weltkrieg

1944
Februar

4. Februar Mittags überflogen mehrere Verbände Richtung Maingebiet unsern Ort. Durch Abwurf von Brandbomben brannten in Neitzert ein Haus und zwei Scheunen ab. Ein Flugzeug stürzte zwischen Neitzert und Fluterschen ab. (…)

Anmerkung: Der US-Amerikanische Bomber des Typs Boeing gehörte zu einer Fliegerstaffel, die auf dem Weg zu einem Luftangriff gegen Industrie- und
Verkehrsziele in Frankfurt/Main und Umgebung war, als sie von mehreren deutschen Flak-Batterien der 7. Flak-Division abgeschossen wurde und am Ortsrand von Fluterschen niederging. Die zehnköpfige Besatzung konnte sich durch einen Fallschirmsprung retten und geriet danach in deutsche Kriegsgefangenschaft. 

24. Februar Seit dem 20. Feb. war täglich Fliegertätigkeit. Heute Nachmittag überflogen mehrere Verbände aus östlicher Richtung kommend unsern Ort. Nachdem es zu einem kurzen Gefecht mit unsern Jägern gekommen war, stürzten einige Flugzeuge in weiterer Entfernung ab. (…)

März

26. März Abends gegen 10 Uhr Durchflug größerer Verbände in östlicher Richtung. Außer unzähligen Staniolstreifen wurden auch viele Flugblätter von denselben abgeworfen. 

31. März In der vergangenen Nacht von 12 – 1 Uhr zogen wieder starke Fliegerverbände über uns hinweg, wahrscheinlich zum Angriff auf Nürnberg. Durch den Eingriff unserer Nachtjäger konnte man den Absturz mehrerer feindlicher Flugzeuge beobachten. Außer dem Abwurf vieler Staniolstreifen wurde zwischen Niederdreis und Hanroth einen Koffer mit dem Inhalt von Kampfgeräten, Pistolen, Leuchtpistolen und Sprengstoff abgeworfen. (…)

April

22. April Heute Abend 7 bis 8 Uhr Durchflug starker Fliegerverbände. Die Besatzung eines in Brand geschossenen Flugzeugs sprang über uns mit Fallschirmen ab. Sie landeten in Hanroth und Elgert. (…)

Juli

22. Juli Wegen dem mißlungenen Anschlag auf Hitler  fand heute Abend eine Treuekundgebung im Arbeitsdienstlager statt. (…)

Anmerkung: Am Mittag des 20. Juli 1944 hatte Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg im Führerhauptquartier Wolfsschanze (Ostpreußen) eine Bombe gezündet, um Adolf Hitler zu töten. Der bis ins Detail geplante Umsturzversuch scheiterte, da der Führer den Anschlag überlebte. Noch am Abend wurden die beteiligten Verschwörer, Major Otto Ernst Remer, General Olbricht, sowie Stauffenberg und dessen Adjutanten Werner von Haeften und Mertz von Quirnheim im Berliner Bendlerblock standrechtlich erschossen. 200 weitere Beteiligte und Mitwisser wurden in den darauf folgenden Wochen ausfindig gemacht und hingerichtet. 

Das Reichsarbeitsdienstlager Puderbach aufgenommen um 1940. Hier fand die in Otto Haberscheidts Tagebuch erwähnte Treuekundgebung statt. (Beitrag vom 31.05.2025)
August

27. August Heute Morgen Bekanntmachung des Ortsgruppenleiters, daß alle männlichen Personen zum Arbeitsdienst am Westwall eingezogen werden sollen. (…)

Anmerkung: Bei der Bekanntmachung dürfte es sich um den Befehl Hitlers Über den Ausbau der deutschen Weststellung vom 20. August 1944 handeln. Männer zwischen 15 und 60 Jahren wurden aufgefordert, Schanzarbeiten am Westwall zu verrichten. Dies war einer der letzten verweifelten Versuche, den übermächtigen allierten Truppen an der Westfront etwas entgegenzusetzen.

In der sogenannten Operation Overlord, bekannter unter dem Namen D-Day, waren am 6. Juni 1944 an den Stränden der Normandie 6.400 Schiffe der allierten Verbündeten (USA, Kanada, Neuseeland, Großbritannien, Polen, Norwegen u. Frankreich) gelandet, die bis zum 30. Juni 850.000 Soldaten, 104.000 Tonnen Material und 54.000 Fahrzeuge entließen und damit eine zweite Front gegen das Hitler-Regime eröffneten. Bereits am 25. August hatten diese Truppen Paris befreit und rückten unaufhörlich vor, während sich das Deutsche Heer immer weiter zurückzog. 

September

2. September Heute Abend stand ein Transport Arbeiter aus der Ortsgruppe Puderbach, von Puderbach allein 22 (Mann), auf dem Bahnhof bereit zur Abfahrt nach dem Westwall. Zum Abschied war der Bahnhofsplatz mit Menschen von nah und fern angefüllt. 

17. September Erhielt Puderbach Einquartierung, ca. 300 Mann einer Fernwaffenabteilung. Von jetzt ab rollten (überflogen) täglich V1 Geschosse mit donnerähnlichem Getöse, einen breiten weißen Streifen hinter sich herziehend, unsern Ort. Abgeschossen wurden diese im Wald bei Höchstenbach. 

Anmerkung: Die Fieseler Fi 103 war der erste militärisch eingesetzte Marschflugkörper. Erfolgreich getestet im Dezember 1942 in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde auf der Insel Usedom und entwickelt von den Ingenieuren Robert Lusser und Fritz Gosslau, kam die sogenannte V1 (V für Vergeltungswaffe) am 13. Juni 1944 bei einem Angriff auf London erstmals zum Einsatz. Der militärische Erfolg der 2200 Kilogramm schweren Flugbombe blieb gering, da nur etwa 25 Prozent der Flugkörper ihr Ziel erreichte. Die übrigen versagten wegen technischer Defekte oder wurden abgeschossen. 

Die von dem deutschen Ingenieur Wernher von Braun Ende der 1930er Jahre entwickelte Flüssigkeitsrakete Aggregat 4 wurde am 3. Oktober 1942 zum ersten Mal erfolgreich gestartet. Die mit 1.000 Kilogramm schweren Sprengköpfen bestückte Waffe hatte eine Geschwindigkeit von über 5.000 Stundenkilometern und eine Reichweite von 400 Kilometern, sodass sie in rund 320 Sekunden die Londoner Innenstadt erreichen konnte.

Die erste V2 schlug am 7. September 1944 in der britischen Haupstadt ein. Es folgten 3.000 weitere Raketen, die Ziele in England, Belgien und Frankreich trafen. Man geht davon aus, daß schätzungsweise 8.000 bis 12.000 Menschen bei den Angriffen durch die V2 ihr Leben verloren. Durch die menschenunwürdigen Verhältnisse bei der Produktion der V2 Rakete in einem Bergwergstollensystem bei Nordhausen verloren rund 12.000 Häftlinge des KZs Mittelbau-Dora ihr Leben.  

Nicht nur die sogenannte V1, sondern auch die V2 wurden von eilig eingerichteten Stellungen aus dem Westerwald abgeschossen. Sicher belegt ist, daß die Artillerie Abteilung (mot) 836 vom 22. September bis zum 3. Oktober 1944 aus der Gegend um Hachenburg die balistische Rakete Aggregat 4 in Richtung Nordfrankreich und Belgien abgefeuert hat.

26. September Flugzeuge griffen bei der Burg einen Güterzug an, warfen Bomben und beschossen ihn mit  Bordwaffen. Ein Soldat war tot, zwei weitere schwer verwundet. Verschiedene Wagen wurden zerstört und verbrannten. 

30. September die Einquartierung vom 17. September rückte wieder ab. 

Oktober

2. Oktober Vormittags überflogen starke Verbände in nordöstlicher Richtung unsern Ort. Der Abschluß der V1 Geschosse lässt immer mehr nach. Während der Abschusszeit ging bis jetzt ein Geschoss  bei Lahrbach und eins bei Dendert als Versager nieder. Glücklicherweise wurde dadurch nur geringer Schaden verursacht. (…)

12. Oktober Täglich rege Tätigkeit von Aufklärungs- und Jagdfliegern, auch Durchzüge stärkerer Verbände. (…)

18. Oktober Vormittags waren schwere Bombendetonationen hörbar in Richtung Bonn und Köln. Den ganzen Tag Fliegertätigkeit. (…)

21. Oktober Nachmittags Fliegerkampf zwischen einer deutschen Jagdstaffel von 18 Maschinen und einer amerikanischen von ungefähr 40 Flugzeugen. Der Kampf spielte sich ab in und um einer Wolke, welche ganz tief über unserm Ort hing. Der Führer der deutschen Staffel wurde zuerst abgeschossen und stürzte mit seinem brennenden Flugzeug bei Lahrbach ab. Ein weiterer deutscher Flieger sprang aus seiner brennenden Maschine und landete mit seinem Fallschirm auf der Huth bei Niederdreis. Ein weiteres deutsches Flugzeug stürzte bei Raubach und eines bei Woldert ab. Ein deutscher Flieger landete mit Fallschirm bei Urbach. Von abgestürzten feindlichen Fliegern ist nichts bekannt. Nach einem Kampf, welcher ungefähr eine halbe Stunde dauerte, zogen sich beide Parteien wieder auseinander. (…)

So sahen die einmotorigen deutschen Jagdflieger aus, die über Puderbach abgeschossen wurden. (Bildquelle: A German Focke-Wulf Fw 190 A-3 of 11./JG 2 after landing in the UK by mistake in June 1942 / https://de.wikipedia.org/wiki/Jagdgeschwader_2_%E2%80%9ERichthofen%E2%80%9C)

Anmerkung: Die Luftschlacht zwischen den Maschinen von US-Jägern P-47 der 365. Fighter Group / 9. USAAF (United States Army Air Force) und den Flugzeugen des 9. Jagdgeschwaders 2 fand ziemlich genau zwischen 15.45 und 16.15 Uhr statt. Sieben einmotorige Jagdflieger des deutschen Verbands wurden nachweislich abgeschossen und fünf der Piloten starben, unter ihnen Oberleutnant Albrecht Bellstedt (Absturz bei Steimel), Feldwebel Berthold Reichel (Absturz bei Herschbach), Fahnenjunker-Unteroffizier Erwin Schmitt (Absturz bei Freirachdorf), Unteroffizier Helmut Mühlhäuser (Absturz bei Freirachdorf) und Unteroffizier Erich Hollain (Absturz bei Raubach). Retten konnten sich per Fallschirmsprung Leutnant Willi Stratmann (Absturz der Maschine bei Dernbach) und Gefreiter Horst Claasen (Absturz der Maschine bei Raubach).

November

6. November Abends Fliegerangriff auf Koblenz. Der Feuerschein von dem brennenden Koblenz war hier deutlich zu sehen. (…)

Der Angriff der Royal Air Force vom 6. November 1944 verwandelt die Koblenzer Innenstadt in eine Trümmerwüste. (Bildquelle: Britische Luftaufklärung nach dem verheerenden Luftangriff auf Koblenz vom 6.11.1944 / https://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriffe_auf_Koblenz)

18. November Morgens Durchflug stärkerer Verbände. Nachmittags gegen 4 Uhr kam es zu einem kurzem Fliegerkampf über unserer Gegend. Ein deutscher Jäger war plötzlich zwischen einen Verband manövrierender feindlicher Jäger (Doppelrumpf) geraten. Nach einem kurzen gegenseitigen Maschinengewehrfeuer stürzte ein Doppelrumpf bei Dendert ab. Gleichzeitig hatte ein Flugzeug zwei Bomben ausgelöst, welche am Werother Weg, 200 m von der Schule und 10 m voneinander entfernt, einschlugen und miteinander gleichzeitig explodierten. Der deutsche Jäger markierte darauf  seinen fast senkrechten Absturz, setzte aber in kaum 100 m Höhe über unserm Ort seinen Motor auf Vollgas und verschwand in Richtung Raubach im Holzbachtal. 

Durch den Luftdruck der abgeworfenen Bomben waren fast sämtliche Schaufenster im Dorf zertrümmert und im Gemeindesaal der Kirche sämtliche Fenster rausgerissen. Auch wurden im Mühlendorf verschiedene Dächer beschädigt.

Derselbe Verband hatte vorher 3 Bomben in Lautzert abgeworfen, welche an Gebäuden große Zerstörung angerichtet und fünf Personen zum Opfer fielen. 

Bei der zum Absturz gebrachten Doppelrumpf-Maschine handelte es sich um eine Lockheed P-38 Lightning der USAAF (United States Army Air Force). 2nd Lieutenant Walter J. Fahrenholz Jr. kam dabei ums Leben. (Bildquelle: Lockheed P-38 Lightning USAF.JPG / https://de.wikipedia.org/wiki/Lockheed_P-38)

Anmerkung: Zu den Todesopfern des Bombenabwurfs über Lautzert zählte ein französischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter. Der Themenweg Oberdreis berichtet wie folgt über den Fliegerangriff:

Am Samstag, dem 18.11.1944, kreisten gegen 14:30 Uhr über Lautzert feindliche Bomber. Die Lautzerter Familie Schmuck, genannt Krestjes, mit der Oma Karoline, Mutter Klara und Töchterchen Inge sowie dem französischen Kriegsgefangenen Maurice (Moritz), saß beieinander und aß Streuselkuchen. Auf einmal sprang Maurice auf und rief: „Alles raus ins Backhaus, die Flieger klinken Bomben aus!“ Doch die Frauen nebst Maurice kamen nur noch bis in den Flur, als schon die Decke herabfiel und die panisch Erschreckten zu Boden warf. Es gelang ihnen aber, nach draußen zu kommen und ins Backhaus gegenüber zu fliehen. Maurice kam bei dem Luftangriff der Engländer ums Leben. Er hatte Inge in Sicherheit gebracht, sich selbst aber nicht retten können. Das Haus wurde total zerstört. Bis zur Überführung seiner Gebeine 1951 nach Frankreich war Maurice hier an dieser Stelle bestattet.

Der am 18. November 1944 durch den Luftangriff getötete Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter Maurice. (Bildquelle: https://puderbacher-land.de/wp-content/uploads/2022/03/Themenweg-Oberdreis.pdf) 

19. November Sonntag Rege Fliegertätigkeit. Die Bevölkerung war heute den ganzen Tag damit beschäftigt, die Schäden durch den gestrigen Bombenabwurf  auszubessern. Schaufenster wurden mit Brettern zugeschlagen, Fenster, solange der Glasvorrat reichte, ausgebessert, und Dächer repariert. Im Gemeindesaal, wo wegen Mangel an Brand (Brennmaterial?) der Gottesdienst abgehalten wurde, mußte die Hälfte der Fenster auch mit Brettern zugenagelt werden. (…)

Dezember

2. Dezember Die Woche abwechselnde Fliegertätigkeit. Heute morgen griff ein Verband von ungefähr 20 Doppelrumpf-Fliegern in unserer Gegend an. In Raubach wurde ein Haus und eine Scheune in Brand geschossen und in Wienau einige Gebäude durch Bomben zerstört, wobei neun Personen ihr Leben einbüßen mussten. (…) 

Anmerkung: Bei dem Bombenangriff auf Wienau kamen folgende Personen ums Leben:

Hildegard Eich (18 Jahre), Rudolf Eyl (9 Jahre), die russische Zwangsarbeiterin Dusja Kolomejzewa (22 Jahre), Karoline Lotz (34 Jahre), Irmgard Manske (16 Jahre), Wilhelm Manske (3 Jahre) und Erwin Muscheid (15 Jahre).

Ein Denkmal bestehend aus zwei Findlingen (Basalt) mit Inschrift und Namenstafeln erinnert an den tragischen Tod der Wienauer Dorfbewohner. 

24. Dezember Bis heute fast täglich Fliegertätigkeit, teils stärker, teils gering. Sonntags den 17. und Montags griffen Flugzeuge die Autobahn in der Gegend von Gierenderhöhe an. Am 22. Abends wieder Anfriff auf Koblenz. Der Kanonendonner an der Front Richtung Aachen war die letzten Tage immer deutlicher hörbar und ist jetzt wieder abgeflaut. Seit 14 Tagen rollen auch wieder V-Geschosse über unsere Gegend. 

Am gestrigen Tage um die Mittagszeit kam es zu einem Luftkampf mit einem deutschen Aufklärer, welcher von einigen feindlichen Doppelrumpf verfolgt wurde. Hierbei stürzte der Aufklärer links der Steimeler Straße, ober dem „hohen Tal“, ab. Dasselbe Schicksal traf ein weiteres deutsches Flugzeug, welches zwischen Urbach und Harschbach abstürzte. 

Heute warf ein Verband zwischen Werlenbach und Bauscheid ca. 30 kleinere Bomben ab. 

Eine Messerschmidt Bf 109 G-6 aufgenommen im August 1944 in Italien. (Bildquelle: https://www.worldwarphotos.info/gallery/germany/aircrafts-2/bf109/captured-messerschmitt-bf-109/)

Anmerkung: Bei dem deutschen Aufklärer, der an der Steimeler Straße abstürzte, handelte es sich um eine einmotorige Messerschmidt Bf 109 G-6 der 3. Staffel der  NahAufklGrp. (Nahaufklärungsgruppe) 13, die auf dem Flugplatz Köln-Wahn stationiert war. Dem Piloten,  Feldwebel Franz Kellner, gelang es nicht mehr, sich mit einem Fallschirmsprung zu retten. Er kam bei dem Absturz ums Leben. 

31. Dezember Weihnachten sowie die Tage vor Jahresschluß verliefen, mit Ausnahme fasst täglicher Durchflüge feindlicher Verbände, ziemlich ruhig. Wegen der Bombenabwürfe in der letzten Zeit hat man mit dem Bau von Stollen und Abstützen von Kellern begonnen. 

Seit Donnerstag den 28. versagt die elektrische Stromversorgung. Da weder Petroleum, Karbid oder Kerzen zu haben sind, muß die ganze Arbeit bei Tage verrichtet werden. 

Das Reisen wird die letzte Zeit immer beschwerlicher, da die Züge nicht mehr fahrplanmäßig fahren, weil sie durch dauernde Fliegerangriffe und Fliegeralarm mit großen Verspätungen ankommen. Die Post versagt fast vollständig, sodass Post von der Front vier Wochen und länger geht. Zeitungen kommen seit der Stromversagung auch keine mehr. Telefon und Radio liegt seit der Zeit auch still, sodass man ohne jede Nachicht von den Kriegsereignissen ist. Gerüchte aller Art werden bekannt. 

1945
Januar

7. Januar Die Lage ist noch dieselbe wie bei Jahresschluß. Durch das Bombardieren der Rheinstädte kommen dauernd Flüchtende und Obdachlose, sodass in den Dörfern fast mehr Ausgewanderte als Eingessene sind. Die Fliegertätigkeit war Anfang der Woche gering, gestern und auch heute zogen wieder starke Verbände ostwärts. 

14. Januar Die Woche war es wegen trüber Witterung und Schneefall ziemlich ruhig. Da sich aber seit gestern wieder aufgeklärt, zogen heute auch wieder mehrere Verbände über uns hinweg. Seit gestern werden wir auch wieder mit Strom versorgt, nur darf in jedem Haus nur eine Birne gebrannt werden und im Dorf nur ein Motor laufen. 

21. Januar Vergange Woche war es verhältnismäßig ruhig. Fliegertätigkeit war nur gering, dagegen wird der Kanonendonner an der Front immer deutlicher hörbar. Nach kurzem Tauwetter ist wieder neuer Schneefall eingetreten. Von Zeit zu Zeit überfliegen uns noch V-Geschosse. 

28. Januar (…) Verkehrs- und Postverhältnisse sind noch dieselben. Die Stromversorgung hat stand gehalten,  es werden aber jede Woche die Zähler abgelesen, damit nicht zuviel Strom verbraucht wird. Motoren dürfen nur zum Dreschen benutzt werden. Zeitungen sind noch keine wieder erschienen.  

Februar

4. Februar (…) Freitag bewarfen Jagdverbände die Autobahn Gierenderhöhe und Neustadt mit Bomben. Auch vielen einige Bomben bei Seifen. Die Stromversorgung hat wieder einige Tage ausgesetzt. Die Zeitung ist wieder einige Tage erschienen. 

11. Februar Verschiedentlich überflogen größere feindliche Verbände unsere Gegend. Jagdflieger beschossen und bombardierten am Mittwoch den Lokomotivschuppen in Altenkirchen. Auch wurden einige Bomben bei Dierdorf abgeworfen. 

Seit Anfang dieses Jahres hat man im Dorf mit dem Bau von zwei Stollen begonnen. Im Kirchdorf an dem Berg unterhalb der Straßenkreuzung Daufenbach – Urbacher Straße und im Mühlendorf an der Steimeler Straße.

In der ganzen Umgegend wurde fast jeden Sonntag der Volkssturm zur Übung einberufen. Der Volkssturm unserer Ortsgruppe unter Führung von Wilh. Ramseyer aus Reichenstein wurde heute zur ersten Übung einberufen, löste sich aber bald wieder wegen Fliegertätigkeit auf. 

Zumeist ältere Männer bildeten den Volkssturm, das letzte militärische Aufgebot Hitlers gegen die immer weiter vorrückenden allierten Truppen. Mit Maschinenpistolen, Karabinern und Panzerfäusten gegen eine übermächtige Streitmacht. (Bildquelle: Bundesarchiv_Bild_183-J30798,_Volkssturm-Männer_in_der_Ausbildung.jpg)

18. Februar (…) Kampfflugzeuge überflogen verschiedentlich unsere Gegend. Jagdflugzeuge griffen am Mittwoch einen Munitionszug bei Neustadt an und brachten ihn zur Explosion. In der Nacht zum Donnerstag wurde ein Auto bei Lichtenthal (Bad Marienberg) mit Bordwaffen beschossen und Bomben beworfen. 

Gestern morgen wurde durch die Ortsschelle der Volkssturm alamiert, konnte jedoch wieder sofort abtreten, nachdem man auf dem Bahnhofsplatz feststellte, daß nur die Hälfte der Mitglieder erschienen war.

Seit Januar ist im Dorf eine Auto-Reparaturwerkstatt untergebracht. Diese Woche sind einige Sanitätswagen mit Personal gekommen, geplant ist ein Lazarett nach hier zu legen. 

Heute warfen Flieger Bomben auf die Eisenbahn unterhalb Döttesfeld. (…)

19. Februar Heute waren schwere Detonationen von Fliegerangriffen in der Richtung Betzdorf und Siegen hörbar.  

21. Februar Heute griffen Flieger einen Personenzug bei Dierdorf mit Bordwaffen und Bomben an. 

22. Februar Heute wurde das Bahngleis bei Neitersen auch durch Bomben beschädigt, sodass die  Strecke zwischen Dierdorf  und Neitersen lahmgelegt ist. 

23. Februar Jagdbomber griffen heute den Bahnhof Altenkirchen an und zerschossen sämtliche vorhandenen Lokomotiven.

Heute fuhren wieder die ersten Züge. Die Arbeiten am Stollen im Kirchdorf wurden wegen Einsturzgefahr eingestellt. 

März

4. März Diese Woche war wegen trüber Witterung nur wenig Fliegertätigkeit.

6. März Heute morgen wurde beim unteren Bahnhof ein Militärauto vom Zug erfasst und bis zur Brücke mitgeschleift. Zwei Soldaten und ein Mädchen kamen dabei ums Leben. 

7. März Wegen dem Vormarsch des Feindes auf der linken Rheinseite stauten sich heute die Straßen voll von Autos, flüchtenden Zivilpersonen und Hunderten von russischen Arbeitern, welche die Straße nach Altenkirchen zogen. Die Autowerkstätten und Lazarettabteilung rückten von hier wieder ab und andere belegten die Quartiere wieder. 

Anmerkung: Als sich im März 1945 die alliierten Truppen von Westen her näherten, wurde ein Großteil der Internierungslager links des Rheins evakuiert und die Zwangsarbeiter zu Fuß in Richtung Osten in Marsch gesetzt. Sie blieben häufig tagelang ohne Nahrung und mit oft nur unzureichender Kleidung der kalten Witterung ausgesetzt.

8. März Dieselben Truppenbewegungen wie gestern. Nach Erzählungen sollen die Amerikaner das linke Rheinufer besetzt und bei Linz (Erpel) den Rhein überschritten haben. 

Anmerkung: Am 7. März 1945 war es der 9. US-Panzerdivison unter dem deutschstämmigen Leutnant Karl H. Timmermann gelungen, die bei Remagen/Erpel gelegene Ludendorffbrücke zu überschreiten. Zuvor hatte die deutsche Heeresleitung die Zerstörung des Bauwerks befohlen, doch zwei Sprengversuche scheiterten und die Brücke blieb stehen. Zehn Tage konnten amerikanische Truppen den Übergang für den weiteren Vormarsch nutzen, als am 17. März die beschädigte Brücke in sich zusammenbrach und 28 US-Soldaten das Leben kostete. 

Amerikanische Soldaten überqueren die Ludendorffbrücke bei Remagen und landen im rechtsrheinischen Erpel an. (Quelle: https://archive.org/details/1945-05-08_Germany_Gives_Up)

Die Partei verbrannte heute die Akten. Nachmittags wurde Altenkirchen bombardiert. 

9. März Die Truppendurchmärsche häufen sich immer mehr. Nachmittags wurde Altenkirchen wieder bombardiert. Abends erhielten wir 10 Mann Einquartierung in die Küche von der Organisation Todt. 

Anmerkung: Bei der Organisation Todt handelte es sich um eine paramilitärische Bauorganisation, benannt nach dem Bauingenieur und SS-Obergruppenführer Fritz Todt (1892-1942), der der Truppe bis zu seinem Tod vorstand. Die bekanntesten Bauprojekte waren die Errichtung des Westwalls sowie das Führerhauptquartier Wolfschanze. Von den 1.360.000 Arbeitern, die der Organisation Todt zur Verfügung standen, waren nur 14.000 wehruntaugliche Deutsche. Alle anderen waren Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge, die unter zum Teil menschenunwürdigen Bedingungen Fronarbeit leisten mußten. 

10. März Durchmärsche und Einquartierungen nehmen immer mehr zu. Die O.T. (Organisation Todt) zog heute morgen wieder ab nach Siegburg. Dann folgte neue Einquartierung, 5 Mann Instandsetzungstrupp einer Panzergrenadierabteilung in unserer Küche. Auf dem Hof stellte eine Verpflegungsabteilung ihre Küche auf und in die Scheune den Verpflegungswagen. Im Stall quartierte sich ein Unteroffizier mit 5 Letten ein. Auf allen andern Höfen sah es nicht viel anders aus. Der Hauptverkehr zog über die Koblenz-Altenkirchener Straße. Heute Nachmittag wurde Altenkirchen wieder mit Bomben belegt. 

11. März Wegen der trüben Witterung ist die Fliegertätigkeit ganz gering und die Truppenverschiebungen können ungestört vor sich gehen. Seit gestern wird auf dem Bahnhof dauernd Artilleriemunition ausgeladen und nachts an die Front gefahren. Das Arbeitsdienstlager ist für Lazarett eingerichtet. 

Die Letten, die gestern hier Quartier bezogen, rückten heute wieder ab. Ihr Führer war über Nacht verschwunden. Fliegerverbände ziehen wieder dauernd über uns hinweg. 

12. März Dauernd ziehen Bomberverbände vorbei. Das Feuer der feindlichen Artillerie ist immer deutlicher hörbar. Sonst ist die Lage unverändert. 

13. März Seit dieser Nacht sind die Einschläge der schweren Granaten deutlich hörbar, anscheinend beschießt der Feind die Autobahn. Da das Wetter seit heute morgen wieder klar ist, sind auch die Jagdflieger wieder tätig. Heute Nachmittag griffen sie bei der Burg einen Lokomotive an und zerschossen sie mit Bordwaffen. Etwas später warfen sie Bomben bei der Papierfabrik. 

14. März Den ganzen Tag wieder rege Fliegertätigkeit. Dauernd greifen sie den Verkehr auf den Straßen an. Unterhalb dem Dorf an der Altenkirchener Straße schossen sie ein mit Benzin beladenen Auto in Brand und unterhalb vom Judenfriedhof  warfen sie zwei Bomben ab. (…)

18. März Sonntag

Wegen der immer kritischer werdenden Kriegslage und näher rückenden Kampffront fand heute morgen bei rollendem Donnern der Geschütze und Krepieren von Granaten und Bomben die diesjährige Konfirmation statt. Da während des Gottesdienstes durch Fliegerangriffe Unruhe in der versammelten Gemeinde entstand, sodass verschiedene Teilnehmer die Kirche verließen, mußte der Pfarrer von einer gruppenweisen Einsegnung Abstand nehmen und den Gottesdienst mit dem Segen beenden. 

Seit vergangener Woche bringen die hier liegenden Verpflegungstruppen fast täglich Gefallene ihrer Kampftruppen aus der Gegend von Erpel und Kalenborn mit zurück und beerdigen sie auf hiesigem Friedhof. Der Feldgeistliche sprach an den Gräbern stets, der jetzigen Zeit besonders entsprechend, eindrucksvolle Worte des Dichters „Wer kann dich Herr verstehen, wer deinem Lichte nahn, wer kann den Ausgang sehen, von deiner Führung Bahn. Du lösest, was wir binden, du stürzest, was wir baun, wir können’s nicht ergründen, wir können nur vertraun“. (Kirchenlied Nr. 649 aus dem Ev. Kirchengesangbuch) 

Anmerkung: 25 Soldaten wurden vom 13. bis zum 21. März 1945 von einem Feldgeistlichen auf dem Puderbacher Friedhof beerdigt. Im April 1961 erfolgte die Exhumierung der Leichen und Umbettung auf den Ehrenfriedhof in Neuwied. 

Das Kampfgetöse hat diese Woche bedeutend zugenommen. Die ganzen Nächte wird auf dem Bahnhof  Munition ausgeladen und an die Front transportiert. Dieses ist bei Tag wegen der Fliegertätigkeit nicht möglich. 

22. März Donnerstag

Die Lage ist unverändert. Dauernd überziehen Bomberverbände und Jagdflugzeuge unsere Gegend. Heute morgen warf ein Flugzeug zwei Brandbomben ab. Eine in die Wiese rechts der Göringstraße (Richerter Weg) und die andere vor der Schieshecke. 

23. März Freitag

Keine besonderen Ereignisse. Heute wurden Kinder aus der Anstalt Waldbreitbach für die Nacht hier untergebracht. 

24. März Samstag

Seit gestern Abend von 10 Uhr ab beschossen feindliche Artillerie unser Dorf mit einer Pause von 1 bis 3 Uhr und dann wieder bis gegen Morgen. Die ersten Schüsse gestern Abend trafen den Hauptverbandsplatz auf dem Arbeitsdienstlager. Durch einen Volltreffer in eine Baracke wurden 6 Soldaten getötet und mehrere verwundet. Gegen Morgen viel auch noch ein Kind aus der Anstalt an der Urbacher Straße dem Beschuss zum Opfer. An Gebäuden richtete der Beschuss nur geringe Schäden an, da die meisten Granaten in Richtung Sportplatz einschlugen. Am Abend zog das ganze Militär bis auf ein Nachkommando zurück.

Einer der sechs getöteten Soldaten war der gebürtige Österreicher Franz Weichselbaumer. Mit gerade einmal 27 Jahren starb er bei dem Artillerie-Angriff der US-Army auf das frühere Reichsarbeitsdienstlager. (Beitrag vom 8.07.2025)

Anmerkung: Schon am 19. März waren katholische Ordensschwestern mit den Kindern des Waldbreitbacher Waisenhauses vor den heranrückenden amerikanischen Truppen geflohen. Am 23. März erreichten sie Puderbach. Vermutlich im früheren RAD-Lager, das man in ein Lazarett umfunktioniert hatte, fanden die Flüchtenden für eine Nacht Unterschlupf. Bei dem durch einen Granatsplitter getöteten Kind handelte es sich um die 12jährige Pauline Kotzian. Ihre Leiche wurde am Folgetag auf dem Puderbacher Friedhof bestattet. 

25. März Sonntag

Die Nacht blieb unser Dorf von Beschuss verschont, derselbe legte sich mehr auf die Umgebung.  Trotz Rasseln der Kirchenfenster vom Geschützfeuer, einschlagender Granaten und Bomben fand heute morgen 8 Uhr eine kurze Gebetsstunde in der Kirche statt, zu der sich, angesichts der kritischen Lage, doch noch 14 Kirchenbesucher eingefunden hatten.

Nach Mittag setzte wieder von Neuem Beschuss ein,  besonders in den Rehgarten (Flurstück zwischen Daufenbacher Straße und Pullermisch) und die unterste Puderbach (Pullermisch) bis ans Dorf. Den ganzen Nachmittag zogen schwere Rauchwolken aus Richtung Autobahn über uns hinweg, wahrscheinlich von Sprengungen und Bränden. 

Vergangenen Freitag wurde durch die Ortsschelle bekanntgegeben,  daß sämtliche männlichen Einwohner  von 15 bis 70 Jahren sich am Schanzen zur Ortsverteidigung beteiligten müssten. Aber nur einige stellten sich dazu ein, da man doch im Allgemeinen der Ansicht war, daß eine Ortsverteidigung nur zum Schaden des Dorfes sein könne. 

Gegen Abend zog die letzte Einquartierung ab. Gegen 10 Uhr abends wurde auf Anordnung von zwei geflüchteten Ortsgruppenleitern der linken Rheinseite durch die Ortsschelle bekanntgegeben, daß sich am nächsten Tag morgens früh sämtliche männlichen Einwohner, auch Fremde, von 15 bis 60 Jahren mit Verpflegung für 3 Tage und Militärpapieren beim Bürgermeisteramt stellen sollten.

26. März Montag

Gestern Abend setzte wieder Beschuss ein. Nach einer Pause von 1 bis 2 Uhr setzte er wieder fort bis morgens gegen 5 Uhr. Wegen der immer näher rückenden Kampffront wurde der gestern bekannt gegebene Stellungsbefehl von niemand befolgt. Das Geschützfeuer hatte nachgelassen, man hörte nur vereinzelte Schüsse, dafür anhaltendes Rollen vom Motorengeräusch ankommender Panzer. 

Gegen 9 Uhr wurden auf dem Bahnhof Lokomotiven und Wagen und auch die zweite Brücke unterm Bahnhof gesprengt. 

„Mai 1945 Trotz Verbot“. So ist die Aufnahme aus dem Fotoalbum des damals vierzehnjährigen Karl-Heinz Schmidt beschriftet. Wir sehen ihn hier mit seinem Freund Hans Hobbach und einem weiteren Puderbacher Jungen auf den Resten der am 26. März 1945 durch deutsche Soldaten gesprengten Eisenbahnbrücke stehen. Am 19. März hatte Hitler den Befehl zu „Zerstörungsmaßnahmen im Reichsgenbiet“  herausgegeben. Darin heißt es:„Es ist ein Irrtum zu glauben, nicht zerstörte oder nur kurzfristig gelähmte Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen bei der Rückgewinnung verlorener Gebiete für eigene Zwecke wieder in Betrieb nehmen zu können. Der Feind wird bei seinem Rückzug uns nur eine verbrannte Erde zurücklassen und jede Rücksichtnahme auf die Bevölkerung fallen lassen. Ich befehle daher: Alle militärischen Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen sowie Sachwerte innerhalb des Reichsgebietes, die sich der Feind zur Fortsetzung seines Kampfes irgendwie sofort oder in absehbarer Zeit nutzbar machen kann, sind zu zerstören.“ (Beitrag vom 8.07.2025)

In der Richtung auf Harschbach wurde dann auch Artillerie und Maschinengewehrfeuer hörbar. Die Schießerei und Moterengeräusch zog dann weiter auf Raubach zu, wo dann gleich Rauchwolken von Bränden aufstiegen. Das Rollen der Panzer zog sich dann weiter auf  Rossbach ins Nassauische. 

Zwei amerikanische Panzer kommen jetzt die Straße von Raubach, fahren bis zur Straßenkreuzung Steimeler Straße, nehmen hier eine Gruppe Soldaten gefangen, wahrscheinlich ein Sprengkommando. Hierdurch wurde die Sprengung der Holzbachbrücke vereitelt, an welcher die Sprengladung schon angebracht war. Die beiden Panzer fahren dann über die Brücke.

Kleinere Gruppen unserer Infanterie kommen aus der Puderbach (Pullermisch) unter der Kirche vorbei, über die Kirchbitze (Bereich heutige Friedenstraße / Am Bruchbitzgarten) und eilen dem Bahnabschnitt unterm Bahnhof zu.

Zur gleichen Zeit kommen amerikanische Panzer (es ist Mittag 1 Uhr) die Daufenbacher Straße und rechts und links derselben aufs Dorf zu. Während einige durch den Rehgarten und andere über die Straße ins Dorf hineinfahren, kommen zwei Panzer durch die Lanebach und Schindkau unterm Friedhof vorbei und eröffneten Maschinengewehr auf das R.A.D. Lager (Reichsarbeitsdienst-Lager) und die letzten durch den Richerter Weg zurückeilenden Soldaten. Durch diese Schießerei geriet die Scheune Schuh in Brand. Gleichzeitig kommen drei Panzer die Daufenbacher Straße herunter, kontrollierten die ersten Höfe und fahren dann unter Schießen weiter ins Dorf. 

Flugzeuge kreisen in ganz niedriger Höhe über unser Dorf. Weitere Panzer fahren ins Dorf. Sonst ist es ruhiger geworden, nur hin und wieder hört man in der Ferne einige Schüsse fallen. Im Mühlendorf sieht man jetzt auf verschiedenen Häusern weiße Fahnen und nun rollen die Daufenbacher Straße hinab andauernd Panzer, Geschütze und Fahrzeuge. 

Der Krieg ist glücklich über uns hinweg gegangen

Der Krieg ist glücklich über uns hinweg gegangen. Gottes Gnade hat nochmal über unsern Ort gewaltet und vor schlimmen Zerstörungen bewahrt. Mit einem sicheren Gefühl wagt man wieder aus dem Keller zu gehen, in welchem man die letzten drei Tage fast immer zugebracht hatte. Bis zum Abend rollen nun dauernd Fahrzeuge vorbei. Für die Nacht gab es Einquartierung.

Nach Kriegsende entstand dieser seltene und ungewöhnliche Schnappschuß. Drei junge Frauen, unter ihnen die achtzehnjährige Cilgia Schwinn, posieren auf einem liegen gebliebenen deutschen Panzer an der oberen Steimeler Straße. Bei dem Panzerkraftwagen dürfte es sich um den sogenannten Tiger II handeln, der zwischen 1944 und 1945 produziert wurde und u.a. an der Westfront zum Einsatz kam. (Beitrag vom 9.07.2025)

Anmerkung: Auch wenn schlimme Zerstörungen in Puderbach ausblieben, so hatten andere Ortschaften in der Umgegend weit weniger Glück. Altenkirchen wurde durch wiederholte Luftangriffe am 8., 10., 17. und 25. März 1945 zu 70 Prozent verwüstet und rund 300 Menschen verloren ihr Leben. Ähnlich erging es Dierdorf. Am 25. März bombardierten US-Truppen die Kleinstadt. Mehr als 50 Häuser wurden dem Erdboden gleich gemacht und viele andere erlitten erhebliche Schäden. 71 Personen starben. 

Alle Häuser wurden vollständig belegt. Wir erhielten ungefähr 15 bis 18 Mann. Gleich nach ihrer Ankunft kamen sie mit einem Stahlhelm voller Eier, welche sie in den Hühnerställen der Nachbarschaft erbeutet hatten und gaben durch Zeigen uns zu verstehen, daß wir sie backen sollten. Als man dann mit einer Pfanne ankam, gab es eine freudige Stimmung und „gut, gut Mama“ erscholl es. Es mußten zwei Pfannen aufgesetzt werden. Als man ihnen dann erklärte, unser Speck zum Backen sei alle, kam gleich einer mit einem großen Stück Speck an, in eine gehäkelte Decke eingewickelt und noch mit einem Haken versehen, wie er ihn in einer Räucherkammer entwendet hatte. Die restlichen Scheiben Speck vom Backen mochten sie nicht und erklärten „for Papa“. 

Da man ihnen sagte, man wäre müd und habe Kopfschmerzen, weil man die letzten Nächte nicht geschlafen habe, so kamen sie mit Schnaps und Bohnenkaffee an. Der Befehl, daß sich die Soldaten nicht mit Zivil unterhalten sollten, wurde bei der geschaffenen Stimmung nicht beachtet und immer wieder erklärt „du nix Nazi“. Nachdem sie ihre Mahlzeit mit den Eiern gehalten und wir nun begannen, den Tisch für uns zu decken, standen alle am Tisch sitzenden auf und setzten sich abseits in der Küche auf ihre Stahlhelme. 

Bevor sie am nächsten Tage weiterzogen, kam ein etwas deutsch Sprechender aus dem Zimmer und sagte: „Mama, Offizier kommen“. Auf dem Tisch lagen aufgestapelt übrige Konserven „for Mama“ und Tabak und Zigaretten „for Papa“. 

Wegen dem starken, übernormalen Wasserverbrauch versagten die Leitung. Am Abend wurde durch die Ortsschelle bekanntgegeben gegeben, daß die Bevölkerung die nächsten zwei Tage die Straße nicht betreten dürfte. 

27. März Dienstag

Die Nacht verlief ruhig. Wir konnten wieder in unsern Betten schlafen, da wir eine Beschießung von deutscher Seite nicht zu fürchten brauchten. Anscheinend war unsere ganze Front in Gefangenschaft geraten und der Feind bis ins Nassausiche vorgestoßen. 

Verkehr war die Nacht wenig, nur hatten sie bis zum Morgen eine ganze Anzahl Telefonleitungen die Straße entlang gelegt. Am Morgen wurde bekannt gegeben, daß die Bevölkerung von 8 bis 9 Uhr morgens und 4 bis 5 Uhr  nachmittags die Straße betreten dürfe, um die Einkäufe zu machen. Die Einquartierung rückte heute wieder weiter. Den ganzen Tag rollten dauernd Panzer, Geschütze und Fahrzeuge aller Art vorbei. Nur in einzelnen Häusern blieb Besatzung, Gemeindesaal und Gasthof Kasche, Zerres und Dills. Flugzeuge, welche dauernd über uns hinwegflogen, brauchte man nicht mehr zu fürchten, sondern konnte sie in Ruhe beobachten. Man fühlte sich von einer großen Gefahr erlöst. Einquartierung gab es heute weiter keine. (…)

30. März Karfreitag Diese Nacht bis gegen Morgen rollten wieder dauernd Fahrzeuge die Straße entlang. Gottesdienst fand heute noch keiner statt, da von der Besatzung noch keine Genehmigung erteilt wurde. 

31. März Keine besonderen Ereignisse. Der Ortskommandant setzte Amtsbürgermeister Günter und Ortsbürgermeister Udert wieder in ihr Amt ein. 

April

1. April Ostern Mit Genehmigung der Militärbehörde läuteten gestern Abend das erste Mal die Glocken seit der amerikanischen Besatzung. Auch fand heute morgen um 8.30 Uhr Ostergottesdienst statt. Die Militärbehörde ordnete weiter an, daß die Landwirte ihre Feldbestellung von morgens 6 bis abends 6 Uhr verrichten können unter möglichster Vermeidung der Straßen. Der Verkehr von Haus zu Haus ist bis abends 7 Uhr gestattet. Im Dorf ist es wieder ruhiger geworden, da der militärische Verkehr sich bedeutend verringert hat. 

2. April Heute Nachmittag rückte wieder neue Besatzung ein und nahmen Quartier im Gemeindesaal, Gasthof Kasche, Dills, Arbeitsdienstlager, Bahnhof und Schule. 

8. April Sonntag Seit vergangenen Dienstag wurde die Uhr um eine Stunde vorgestellt. Ausgangszeit für die Bevölkerung wurde von 7 Uhr morgens bis 7 Uhr abends festgesetzt. 

Am Freitag mußte das Haus Hachenberg auf dem Fels für Engländer geräumt werden. Gottesdienst wie auch kirchlicher Unterricht kann wieder wie auch früher gehalten werden. Die ganze Woche war wieder Kanonendonner Richtung Sieg hörbar.

Da Bahn und Post noch still liegt, die Stromversorgung noch nicht hergestellt, sodas man auch keine Radionachichten hört, ist man über die Kriegslage völlig im Unklaren. Reiseverkehr ist nur für die nächste Umgebung gestattet.

Heute gab die Besatzung die erste Zeitung heraus „Kölnischer Kurier“. 

Ein Ausschnitt der Titelseite der ersten Ausgabe des Kölnischen Kuriers vom 2. April 1945. 

15. April Sonntag Diese Woche wurde die Ausgangszeit von 6 Uhr morgens bis 8 Uhr abends verlängert. Heute morgen ist die ganze Besatzung bis auf eine Abteilung im Gasthof Kasche abgezogen. Heute Nachmittag wurde von der Bevölkerung die Gemarkung abgesucht nach Munition, um Unfälle zu verhüten. 

22. April Sonntag Die Ausgangszeit wurde die Woche auf 8.30 Uhr (Abends) verlängert. Am Dienstag belegte eine neue Besatzung Gasthof Kasche, Schule und Bahnhof. Seit Dienstag stellen sie am Ausgang der Daufenbacher Straße einen Passier-Posten auf. Am Freitag mußte das Haus Schug in der Göringstraße für die Besatzung geräumt werden. Gestern ist sie aus der Schule und dem Haus Schug wieder abgezogen. Heute Nachmittag mußte der Gatshof Hümmerich innerhalb 15 Minuten geräumt werden für neue Besatzung. 

23. April Heute zog die Besatzung im Gasthof Kasche mit dem bisherigen Ortskommandanten ab. Ortskommandant ist der neue Offizier im Gasthof Hümmerich. 

26. April Heute zog die ganze Besatzung ab. 

27. April Heute wurde bekannt gegeben, daß niemand das Dorf verlassen dürfte mit Ausnahme von Landwirten, welche dringende Feldarbeiten zu verrichten hätten. Der Grund zu der Verkehrseinschränkung ist nicht bekannt. 

30. April Die Verkehrseinschränkung vom 27. wurde bis heute noch nicht wieder aufgehoben. Da aber in der Umgebung keine Besatzung mehr liegt und nur von Zeit zu Zeit eine Straßenpatrouille erscheint, geht der Verkehr in alter Weise weiter. 

Auf dem Arbeitsdienstlager haben sich ungefähr 40 russische Arbeitskräfte gesammelt, welche während des Krieges in den Nachbardörfern eingesetzt waren. Durch diese sind Fahrraddiebstähle an der Tagesordnung. Oft werden auch Fahrräder durch Vorhalten von Schusswaffen den Besitzern abgenommen. Nächtliche Diebstähle und Ausräumen von Häusern von Lebensmitteln und Bekleidungsstücken kommt häufig vor, aber meist nur in den Nachbardörfern. 

Anmerkung: Mit dem Angriff deutscher Truppen auf die Sowjetunion im Juni 1941 begann die gewaltsame  Rekrutierung von 2.75 Millionen russischen Männern und Frauen zur Zwangsarbeit in Nazi-Deutschland, unter ihnen 1.3 Millionen russische Kriegsgefangene. Die nationalsozialistische Rassenlehre hatte die slawischen Völker zu sogenannten „Untermenschen“ abgestempelt, „geistig, seelisch tiefer stehend als jedes Tier“. Dementsprechend fiel die Behandlung der Ostarbeiter, ihre Unterkünfte und Verpflegung aus, die deutlich schlechter war als die der Westarbeiter oder französischen Kriegsgefangenen. Zudem wurden sie mit dem blau-weißen Ost-Abzeichen, daß sie auf der linken Brustseite tragen mußten, gekennzeichnet und ausgegrenzt.

Man kann es diesen entrechteten Frauen und Männern nicht verdenken, daß sie nach Kriegsende die erlittenen Entbehrungen und Erniedrigungen an der deutschen Bevölkerung ausließen und sich am Eigentum der Dorfbewohner vergriffen, so wie man sich über Jahre ihrer Abreitskraft bedient hatte.  

Arbeitseinsatz der Ostarbeiter in Deutschland. Ukrainerinnen, die auf einem Staatsgut in der Nähe Berlins arbeiten, bei der Frühkartoffelernte. (Bildquelle: Bundesarchiv Bild 146-2004-0175)

Die zerschossenen elektrischen Leitungen sind notdürftig wieder hergestellt, sodass Bäcker, Metzger und elektrische Wasserleitungen zunächst mit Strom versorgt werden können. 

8. Mai Waffenstillstand

Die aus den Rheinstädten wegen der Bombenangriffe nach hier verzogenen Einwohner wandern allmählich wieder in ihre Heimat zurück. Öfters tauchen auch Soldaten auf, welche der Gefangenschaft entgangen waren und nun in Zivilkleidern in ihre Heimat wanderten. 

31. Mai Der Monat Mai verlief ohne besondere Ereignisse. Die russischen Arbeiter liegen noch auf dem Arbeitsdienstlager und warten auf ihren Abtransport. (…) Ortsbürgermeister Udert legte sein Amt wegen dauernder Auftritte einiger aufsässiger Einwohner gegen ihn nieder. An seine Stelle trat Schmiedemeister Karl Puderbach.

Die Stromversorgung ist seit Mitte Mai wieder normal ohne Einschränkungen. Fasst täglich kehren Soldaten aus amerikanischer Gefangenschaft zurück. Die Ortsgruppenleiter sind von der Besatzung verhaftet worden und nach Neuwied abgeführt, wo sie an Straßenarbeiten beschäftigt werden. Sonst kann jeder wieder ruhig seiner Beschäftigung nachgehen. 

Juni

19. Juni Heute morgen wurde die russische Bevölkerung auf dem Arbeitsdienstlager mit Autos der Besatzung abtransportiert. In der letzten Zeit hatten sich hier ungefähr 80 Personen aus der Umgebung angesammelt.  (…)

Juli

1. Juli (…) Das Sägewerk Schmidt auf dem Bahnhof wurde von der Besatzung in Beschlag genommen. Es darf nur Holz geschnitten werden für die Besatzung, wobei zwei Soldaten die Kontrolle ausübten. 

Amtsbürgermeister Günter wurde von der amerikanischen Besatzungsbehörde seines Amtes enthoben.  Gleichzeitig wurden auch mehrere Beamte, welche Mitglied der N.S.D.A.P. gewesen, von ihrem Amt abgesetzt. 

31. Juli Die Beschlagnahmung des Sägewerks Schmidt wurde wieder aufgehoben. (…) Amtsbürgermeister Günter wurde wieder in sein Amt eingesetzt.  Gleichzeitig versieht er auch das Amt des Ortsbürgermeisters.  

Die Besatzung und militärische Behörde ist an die Franzosen übergegangen.

In dem Gefangenenlager Siershahn und Andernach wird, seit sie an die Franzosen übergegangen sind, über schrecklichen Hunger geklagt.

Anmerkung: Die Gefangenenlager Siershahn und Andernach dienten als Durchgangslager, in denen 25.000 bzw. 16.000 deutsche Soldaten seit April 1945 auf ihren Weitertransport in die Kriegsgefangenschaft warteten. Insgesamt 1.065.000 Männer wurden bis September nach Frankreich in sogenannte Depots (Lager) gebracht und zu den verschiedensten Zwangsarbeiten herangezogen. 

Die Lebensbedingungen in den insgesamt 23 Internierungslagern, auch Rheinwiesenlagern genannt, waren äußerst schlecht. In Ermangelung von Baracken mußten die Gefangenen z.T. in Erdlöchern leben. Auch die Versorgung mit Lebensmitteln war schwierig, sodas es zu dem von Otto Haberscheidt beschriebenen Hunger kam. 

(…) Die Aufräumung und Instandsetzung der Bahnstrecke bis Dierdorf ist soweit wieder hergestellt. 

August

15. August Seit heute fährt wieder die Eisenbahn. Es fährt morgens und abends ein Personenzug von Siershahn bis hier hin und zurück. Die Verbindung nach Altenkirchen, Limburg und dem Rhein ist noch nicht wieder hergestellt. In der Kirchengemeinde wurde diese Woche eine Sammlung für das Kriegsgefangenenlager in Andernach veranstaltet. 

September

30. September Französische Besatzung liegt bis jetzt in hiesiger Gegend in Altenkirchen, Selters und Rengsdorf. Öfters muß an diese Gemüse, Hühner, Eier und dergleichen geliefert werden. Auch Fahrräder wurden zur Ablieferung verlangt. (…) 

Die Absetzung von Beamten, welche Mitglied der N.S.D.A.P. waren, nimmt immer mehr zu. Überall finden sich Menschen, welche die Gelegenheit benutzen, sich wegen Angelegenheiten aus vergangenen Jahren zu rächen, indem sie die betreffenden Personen bei der Besatzungsbehörde anzeigen. Die Geschäfte der Verwaltungsbehörde nehmen dadurch einen immer trostloseren Zustand an. Amtsbürgermeister Günter wurde zum zweiten Mal abgesetzt. Die Geschäfte des Ortsbürgermeisters versieht Friedrich Runkler, welcher auch den Rücktritt des bisherigen Ortsbürgermeisters Simon Udert veranlasst hatte. 

Anmerkung: Es waren die vier Siegermächte, die sich im Juli 1945 darauf geeinigt hatten, die deutsche Gesellschaft, Politik, Kultur und Wirtschaft von den Einflüssen des Nationalsozialismus zu befreien. Die vorrangigen Ziele der sogenannten Entnazifizierung waren die Auflösung der NSDAP mit ihrem 8,5 Millionen Mitgliedern, die Einziehung ihres Vermögens und die Entfernung und den Ausschluß  von Nationalsozialisten aus der öffentlichen Verwaltung.

Man unterteilte die deutsche Bevölkerung, je nach ihrer Verstrickung in das NS-Regime, in fünf verschiedene Kategorien, in die sogenannten Hauptschuldigen, die Belasteten, die Minderbelasteten, die Mitläufer und die Unbelasteten. 

Der ledige Landwirt Friedrich Runkler dürfte zu dem Kreis der Unbelasteten gehört haben. Er und sein ebenfalls unverheirateter Bruder Philipp standen schon vor 1933 den Sozialdemokraten bzw. Kommunisten nahe. Ein Brief aus deren Nachlass belegt, daß es nach der Machtergreifung zu Repressalien kam und ortsansässige Nationalsozialisten versuchten, Philipp Unregelmäßigkeiten und Fehlverhalten während seiner Anstellung bei der Deutschen Reichsbahn nachzuweisen. Der zuständige Bahnbedienstete schreibt u.a. :

(…) Die Polizei scheint Ihnen wegen der Anmeldepflicht noch etwas antun zu wollen, womit unsere Eisenbahnverwaltung aber nichts zu tun hat. (…) Wie gesagt, die Polizeiverwaltung kann Sie höchstensfalls wegen der Meldepflicht mit einer Polizeistrafe belegen, welches ich mir an Ihrer Stelle aber nicht gefallen lassen würde. (…) Sie haben sich reichsbahnseitig keiner Verfehlung zu Schulden kommen lassen, darum lassen Sie die Sache nur ruhig an sich herantreten. 

Kann man den betroffenen Personen verdenken, daß sie nach Kriegsende die damals zuständigen Polizisten und Beamten zur Rechenschaft ziehen wollten und sie der französischen Besatzungsmacht meldeteten? 

Die Verkehrsverhältnisse haben sich noch nicht gebessert, denn die Arbeiten an den gesprengten Eisenbahnbrücken gehen nur langsam vorwärts. Ebenfalls ist die Versorgung mit Lebensmitteln sehr schlecht. Zucker hat es seit der Zeit der Besatzung nur 700 g. pro Person gegeben. Sonstige nötigen Gebrauchsgegenstände sind nur im Handel gegen Lebensmittel zu bekommen. 

Die Post hat seit dem 16. November ihre Tätigkeit wieder aufgenommen. Sie befördert vorläufig aber nur Karten, welche wegen dem Fehlen von Briefmarken bei der Abgabe auf dem Postamt mit 7 Pfennig zu bezahlen sind. 

Oktober

7. Oktober Seit dem 1. Oktober hat die Schule wieder begonnen, nachdem im Sommer 1944 wegen Fliegergefahr nur einige Stunden gehalten wurden und im Herbst ganz ausetzte. Lehrer Heinr. Neitzert wurde wegen Beteiligung in der N.S.D.A.P. nicht wieder in sein Amt eingesetzt und so hält Fräulein Kölb allein Schulunterricht. Außerdem hält Pfarrer Bub jede Woche eine Stunde Religionsunterricht an der Schule. 

Dezember

Silvester 1945 Die politische Lage hat sich bis dato noch nicht gebessert. Überall sind unzufriedene Revolutionäre, meistens zugezogen Fremde, welche bei der Besatzungsbehörde vorstellig werden mit Anschuldigungen gegen Personen über deren Vergangenheit in der Nazizeit. (…) Aus diesem Grund ist Amtsbürgermeister Günter in den Ruhestand getreten, um dadurch einer nochmaligen Absetzung zuvorzukommen. An seine Stelle ist Amtsbürgermeister Marenbach ernannt worden, welcher vor dem Krieg das Amt Steimel verwaltet hatte. 

Ortsbürgermeister Friedrich Runkler (…) hat nach sechswöchentlicher Amtszeit sein Amt wieder niedergelegt. An seine Stelle wurde dann von demselben Wilh. Haag, Dahrlehnskassenrendant, in das Amt als Ortsbürgermeister gesetzt. Auf Verlangen des vorgenannten Runkler mußte auch das Presbyterium, welches während der Hitlerzeit in ihr Amt gelangt war, zurücktreten. An deren Stelle wurde wieder das Prespyterium eingesetzt, welches bei der Hitlerregierung zurücktreten mußte. 

Trotzdem die Mehrheit der Einwohner für Lehrer Heinrich Neitzert unterschrieben hatte, konnte er doch nicht wieder in sein Amt gelangen (…). 

Die Lebensmittelversorgung hat sich noch nicht gebessert. Die Bevölkerung erhielt zu Weihnachten das zweite Mal Zucker seit der Besatzungszeit, pro Person 220 Gramm. Streichholz gibt es noch keins, aber Salz wieder genügend. 

Die Zugverbindung hat sich wieder gebessert. Täglich fahren drei Personenzüge von Limburg bis Puderbach und zurück. Nach Altenkirchen ist wegen der vielen gesprengten Eisenbahnbrücken noch nicht zu denken. Zur Verbindung mit der Rheinstrecke muß der Weg von Höhr-Grenzhausen bis Vallendar oder Bendorf zu Fuß zurückgelegt werden. Frachtgut wird auch wieder befördert.  

Der Postverkehr geht über alle Besatzungszonen, nur sind bei uns im französisch besetzten Gebiet noch keine Freimarken und muß das Porto noch immer bei der Abgabe bezahlt werden. Der Fernsprechverkehr der Post wird dauernd weiter instandgesetzt, sodass fast alle Dörfer im Amtsbezirk wieder angeschlossen sind. 

Die Abgabe von Schlachtvieh für Besatzung und Bevölkerung ist für Puderbach auf 70 Stück Rindvieh festgesetzt worden für die Zeit von August 1945 bis Juli 1946. Die Abgabe von Zuchtvieh für die Besatzung ist hierbei nicht mit einbegriffen. Aus dieser Belastung sind die weiteren Abgaben an Gemüse, Hühner, Eier und dergleichen geblieben.  

Die allgemeine Sicherheit hat sich gebessert und kommen gewaltsame Einbrüche, Ausplünderungen und Diebstähle seltener vor. 

Rückblick auf das Jahr 1946

Zum zweiten Mal, nachdem der schreckliche Krieg beendet ist, treten wir in ein neues Jahr. Aber immer noch leben wir im Dunkeln der Zukunft, denn immer noch ist kein Friedensschluß  getätigt, der unsere Zukunft bestimmt. 

Anmerkung: Otto Haberscheidt bezieht sich in seiner Eintragung über den fehlenden Friedensschluß vermutlich auf das noch immer besetzte Deutschland und die Unterteilung in vier Besatzungszonen. Eine eigenständige deutsche Regierung wird erst am 30. Mai 1949 mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland entstehen.

Alle Hoffnung, daß bald eine Besserung eintreten werde, ist gescheitert. Dagegen wird die Ernährungslage immer schlechter. Bis jetzt versucht der Franzose soviel wie nur möglich aus seinem Gebiet herauszuholen. Abgaben an Vieh, Lebensmitteln, Haushaltsgegenständen und dergleichen sind immer noch dieselben. 

Anmerkung: Keine sechs Jahre lagen zurück, daß Hitler Frankreich überfallen hatte. Schon früh begannen die deutschen Besatzer damit, Lebensmittel, Rohstoffe, Maschinen, Fahrzeuge und andere für die Kriegführung benötigte Materialien aus dem Land zu schaffen, um die Versorgung der eigenen Truppen und der Kriegswirtschaft zu gewährleisten. Franzosen litten in dieser Zeit unter einer erhöhten Nahrungsmittelknappheit. Vor allem Zucker und Kaffee waren rar, wurden durch Produkte wie Saccharin und Chicorée ersetzt und auf dem Schwarzmarkt zu horrenden Preisen zum Verkauf angeboten. 

Dazu ist die Zonensperre zum amerikanisch und englisch besetzten Gebiet für die Bevölkerung eine große Hemmung. Kohlen gibt es überhaupt keine. Fabriken und Betriebe werden nur ganz notdürftig damit versorgt. Für den Hausbrand kommt nur Holz infrage. Dazu sind seit Oktober auch noch französische Waldarbeiter am Holz fällen. Diese sind mit 40 Mann in Steimel untergebracht und haben bis jetzt schon 14000 Festmeter Tannenholz an der Steimeler Straße gefällt und abtransportiert. 

Seit Juni fährt die Eisenbahn wieder durch bis Altenkirchen und ist die Bahnverbindung wieder einigermaßen hergestellt, obgleich auch die Züge mit Stunden Verspätung ankommen. Wenngleich auch vergangenes Jahr schon dauernd an den gesprengten Eisenbahnbrücken gearbeitet worden war, so wurde aber dieses Jahr von der Militärregierung mit Druck auf die Fertigstellung der Arbeiten gedrängt, damit ein besserer Abtransport fürs sie aus Deutschland vorhanden sei. 

Schuhe und Bekleidungsartikel werden immer knapper und für Geld überhaupt nicht mehr zu bezahlen. Der Geldwert wird immer geringer, sodas man für Geld nur noch die auf Lebensmittelkarten und Bezugscheine zustehenden Sachen kaufen kann. Andere Gegenstände kann man nur im Tausch auf gleichwertige Lebensmittel erhalten, oder man muß ungefähr das Hundertfache vom Vorkriegswert bezahlen. Die Agbabe von Vieh, Frucht und dergleichen wird alles auf Vorkriegswert vergütet. 

Durch die Wahlen im September wurde an die Stelle von Wilhelm Haag Hermann Blum als Ortsbürgermeister gewählt. Im Oktober wurde Amtsbürgermeister Marenbach seinens Amtes enthoben wegen Anschuldigung ehemaliger politischer Einstellung. Bis heute versieht dieses Amt stellvertretungsweise Amtsbürgermeister Hachenberg aus Dierdorf. Silvester 1946

Silvester 1947

(…) Anfang Januar erhielt das im vorigen Jahresbericht erwähnte französische Holzfällkommamdo noch Verstärkung,  welche in Puderbach untergebracht wurden. Nachdem nun die Franzosen mit ihrem Hauungsplan rechts der Steimeler Straße fertig waren, machte auf der linken Seite ein Kommando einer dänischen Firma, welches in Straßenhaus stationiert war, die Fortsetzung bis ins hohe Tal. Diese beförderten ihr Holz mit Lastauto zum Rhein, wo es in Schiffe verladen wurde nach Holland. Die Franzosen stapelten ihr Holz am Bahnhof Puderbach auf zum Transport nach Frankreich. Da auf dem Bahnhof nicht nur das Holz von der Steimeler Straße, sondern auch von der Urbacher Straße, von Reichenstein, dem fürstl. Wald in Bauscheid u.a. angefahren wurde, war das ganze Jahr hindurch der Bahnhof mit Holz belagert, das oft kaum noch eine Fahrbahn übrig war. 

(…) In der ersten Woche des August wurden wegen der Trockenheit schon die letzten Halmfrüchte eingefahren. Der Ernteertrag war trotz der Trockenheit und nur geringen Menge zur Verfügung stehender Düngemittel noch befriedigend. Der Ertrag von Heu und Krummet war gering, die Qualität aber gut. Die Kartoffelernte war schlecht und wurde daher dem Normalverbraucher nur 1 Zentner pro Person zugeteilt. Da fast überall das Ablieferungssoll nicht erfüllt werden konnte, wurde angeordnet, daß zur Erfüllung das Saatgut angegriffen werden sollte. Viele Dörfer wurden von Polizeiaufgeboten von ca. 30 bis 40 Mann sozusagen übefallen, alle Häuser durchsucht und die ihnen übrig denkenden Kartoffeln beschlagnahmt. 

Brot wird seit dem Sommer nur mit einem Teil Maismehlzusatz gebacken. Die Franzosen haben die Zonensperre dieses Jahr noch wieder verschärft, während der Grenzverkehr zwischen amerikanisch und englischer Zone frei ist. Selbstversorger der Landwirtschaft mußten ihr Brotgetreide abliefern und erhielten dafür fein gemahlenes Kleienmehl aus Frankreich, welches aber zum Backen von Brot nicht geeignet war. 

Am 4. August wurde ein Eilzug eingesetzt, welcher täglich die Strecke Betzdorf, Altenkirchen, Siershahn, Engers, Koblenz und zurück verkehrte. Vom 11. August konnte derselbe aber wegen Kohlemangel nur alle zwei Tage eingesetzt werden. 

Ende März wurde Naumann, angeblich ein aus dem Osten Deutschlands stammendes Mitglied der Sozial Demokratischen Partei, von der Partei als Amtsbürgermeister eingesetzt. Während seiner Amtszeit wurden im Laufe des Jahres fast sämtliche alten Verwaltungsangestellen entlassen und durch Fremde ersetzt. Anfang Dezember wurde dann Naumann von der Militärregierung wegen unerlaubter und unvorschriftsmäßiger Lagerung von Kartoffeln seines Amtes enthoben. 

Die wirtschaftliche Lage hat sich noch in keiner Hinsicht gebessert, nur hat sich die Bevölkerung an die Verhältnisse gewöhnt. Da für Geld nicht viel zu kaufen ist, sind Tauschgeschäfte allgemein üblich. Zur Vermittlung dieser Geschäfte wurde dieses Jahr in Puderbach ein solches Tauschgeschäft eröffnet. (…) 

Anno Domini 1948

Nach der Absetzung von Amtsbürgermeister Naumann im Dezember vorigen Jahres, versah die Amtsgeschäfte Ortsbürgermeister Herm. Blum von hier. Am 15. Juni erhob die Bürgermeistereivertretung Protest gegen eine von der SPD geplanten Besetzung dieser Stelle durch einen Herrn Burggref aus Simmern. Aber trotzdem wurde derselbe mit der Führung der Geschäfte betraut und am 1. September eingesetzt. Nach den Wahlen im November, wobei die SPD die Minderheit hatte, wurde Burggref von der Amtsvertretung abgelehnt und die Amtsgeschäfte wieder Herm. Blum übertragen. 

In den Monaten November und Dezember wurden die letzten Reste von stehen gebliebenen Kriegsmaterial, soweit es von der Bevölkerung noch nicht abmontiert worden war, mit Schneidbrenner in Stücke zerlegt und auf dem Bahnhof für nach Frankreich verladen. Als bereits das meiste fortgeschafft war, kam der Versand ins Stocken, da festgestellt worden war, daß ein gut Teil Frankreich nicht erreicht hatte. Der Holzeinschlag der Franzosen ist seit dem Sommer eingestellt worden und wird seit dem Herbst auch kein Holz auf dem Bahnhof mehr verladen. 

Nach der Einführung der neuen Währung im Juni wurde die wirtschaftliche Lage bedeutend besser. Für Geld kann man fast alles wieder kaufen, obgleich es zu den Vorkriegspreisen sehr teuer ist und die Preise bis heute noch weiter gestiegen sind. Silvester 1948

Nach dem Währungswechsel inspiziert eine Berlinerin prüfend die neuen Geldscheine und ihr Erspartes auf dem Konto.Am 20. Juni 1948 trat die Währungsreform in den drei westlichen Besatzungszonen in Kraft. Jeder Bürger und jede Bürgerinnen konnten 60 alte Reichsmark gegen 40 neue Deutsche Mark eintauschen, zudem folgte einen Monat später ein sogenanntes Kopfgeld von weiteren 20 D-Mark. Wehe dem, der seine Vermögen auf der Sparkasse oder Bank angelegt hatte. 1000 Reichsmark waren nach der Umrechnung nur noch 6 Mark und 50 Pfennige wert. Anders sah es bei Gehältern, Löhnen, Pensionen und Renten aus. Diese wurden 1:1 umgerechnet. (Bildquelle: Bundesarchiv Bild 183-19204-013 / 1948, Berlinerin nach der Währungsreform)

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