Im September diesen Jahres bekam ich die Möglichkeit, in einer Internetversteigerung ein Konvolut an alten Fotografien zu erwerben. Die Aufnahmen, die in einem stoffbezogenen Album eingeklebt sind, wurden alle zwischen 1895 und 1914 aufgenommen und gehörten wohl einem jungen Mann, der hier seine ganz persönlichen Erinnerungen an Kindheit, Schulzeit, Ausbildung, Beruf und Militärdienst festgehalten hat.
Leider ist keines der Bilder mit einem schriftlichen Vermerk versehen, sodas man auf die Herkunft und den Namen des Mannes bzw. den seiner Familie nicht schließen kann. Doch elf der 45 Fotografien weisen eindeutig auf die im Westerwaldkreis gelegene Kleinstadt Westerburg hin. Unter ihnen finden sich zwei Stadtansichten sowie eine Aufnahme, die den Transport der sogenannten „Schwedenvilla“ zeigt, die der Landwirtschaftsinspektor Paul Schulze-Rößler in Skandinavien erworben und sich in Westerburg wieder hat aufbauen lassen. Desweiteren gibt es fünf Bilder, die Straßenumzüge zeigen, auf denen Mitglieder eines Trachtenvereins bzw. die des Westerburger Turnvereins zu sehen sind. Zwei weitere Aufnahmen entstanden während der Bautätigkeiten an der 1907 fertiggestellten Hülsbachtalbrücke.
An dieser Stelle geht meine Bitte an meine geschätzten Leserinnen und Leser, mit mir in diese unbekannte Familiengeschichte einzutauchen. Ich lade Sie herzlich ein, die Erinnerungsstücke näher zu betrachten, auf Einzelheiten und Details zu achten. Vielleicht stoßen wir gemeinsam auf den Namen jener Westerburger Familie, dessen Geschichte hier erzählt wird. (Beitrag Oktober 2024)
Die Fotografien aus Westerburg
Blick auf die Stadt

Die erste Fotografie zeigt den nördlichen Teil der Stadt. In dem Gebäude in der Bildmitte, das gleich hinter der Böschung hervorlugt, meine ich das Rathhaus an der Neustraße zu erkennen. Am rechten Bildrand ragt das Plateau mit Schloß und Schloßkirche hervor. (Beitrag vom 10.10.2024)


Die Schwedenvilla

Doch dann stieß ich auf die Facebook-Gruppe „Westerburg im Laufe der Zeit“. In deren Bildarchiv fand sich eine ganz ähnliche Aufnahme wie die aus meinem Album. Überschrieben war die Fotografie mit „Die Schwedenvilla ca. 1912“. Weitere Recherchen ergaben, daß es sich bei diesem ungewöhnlichen Transport um die Beförderung des Fischerhauses vom Secker Weiher handelte und dieser im Jahr 1914 stattfand. Im Kreisblatt Westerburg vom 10. April 1914 wird von dem „wandernden Haus des Herrn Tierzuchtinspektors Schulze-Rößler“ gesprochen. Er war es, der bereits 1895 die Verschiffung des in seine Einzelteile zerlegten Holzhauses von Schweden nach Deutschland in Auftrag gab. Noch heute findet sich das ungewöhnliche Ensemble in der Adolfstraße Nr. 43.
An welcher Stelle Westerburgs befindet sich der Tross beim Entstehen der Fotografie? Wo stand jenes „Rheinische Kaufhaus“, das man im Hintergrund ausmachen kann? Und erkennt jemand unter den Schaulustigen einen Vorfahren seiner Familie? (Beitrag vom 10.10.2024)
Nachtrag: Auf dem Weg zu ihrem heutigen Standort legte der Tross der „Schweden Villa“ einen Halt am „Alten Markt“ ein. Hier ist die Aufnahme aus dem Album des unbekannten Westerburgers entstanden. Das „Rheinische Kaufhaus“, nachdem ich meine geschätzten Leserinnen und Leser fragte, wurde in den Wirren des 2. Weltkriegs zerstört. Anfang der 1950er Jahre baute der Malermeister Saueressig seiner Familie ein neues Haus an dieser Stelle. Nach weiteren Umbauten und wechselnder Gewerbenutzung befindet sich das Gebäude heute in Besitz der Diakonie, die darin ein Café und einen Geschenkeladen betreibt.
Mein Dank geht an Herrn Becker, der mir eine ausführliche Anwort auf meine Anfrage sendete und nicht nur zur Aufnahme mit der „Schwedenvilla“ spannende Informationen liefern konnte. (Ergänzung vom 12.05.2025)
Links:
Internetseite mit kurzer Biographie des Hauses sowie drei aktuellen Aufnahmen des Gebäudes
Artikel in der Westerwälder Zeitung zum 100jährigen Jubiläum des ungewöhnlichen Transports des Schwedenhauses
Festumzug mit Trachtengruppe

Enstanden sein könnte die Aufnahme zwischen den Jahren 1905 und 1914. Doch was mag der Anlass dieses prächtigen Festumzuges in Westerburg gewesen sein? An allen Häuser sind kleine und große Fahnen in schwarz-weiß-rot angebracht, der Flagge des deutschen Kaiserreiches, zudem zieren Girlanden Türen und Fenster. Die Bevölkerung hat sich fein herausgeputzt, trägt ihre beste Sonntagskleidung.
Die Fotografie erinnert mich stark an eine Reihe von Aufnahmen, die in meinem Heimatort Puderbach entstanden sind. Anlass war damals die Einweihung des Kriegerdenkmals für die Gefallenen der Schlachten von 1866 und 1870/71. Doch es mag auch ein anderes festliches Ereignis der Grund gewesen sein, warum ganz Westerburg auf den Beinen ist.
Doch schauen wir uns jetzt einmal die Parade näher an. Vorneweg läuft eine Gruppe von Männern in Uniform. Der Junge mit dem Pappschild weist sie ganz deutlich als Freiwillige Feuerwehr Westerburgs aus. Doch mein Augenmerk liegt auf der großen Schar von Kindern, die alle in Trachten gehüllt sind, vorneweg die Mädchen mit dunklem Mieder und weißer Schürze, dazu eine Schleife im Haar und die Jungen mit Kittel und Bommelmütze. Es ist diese Trachtengruppe, die mit einer weiteren Aufnahme im Fotoalbum des Unbekannten vertreten ist. (Beitrag vom 10.10.2024)
Nachtrag: Herr Becker machte mich darauf aufmerksam, daß es sich bei dem Haus rechts neben dem Gasthof Adler um das Manufaktur- und Konfektionswarengeschäft von Gustav Nickol handelt. Später ging das Geschäft in den Besitz von Hugo Wengenroth über, firmierte aber weiter unter dem Namen Nickol. 2018 wurde das Gebäude abgerissen, um dem Neubau des Petz-Rewe-Markts Platz zu machen.
Bevor das Kafhaus Nickol der Abrissbirne weichen mußte, verkaufte die letzte Besitzerin, Frau Erika Staiger geb. Wengenroth, das alte Inventar des Ladens, sowie einige persönliche Dinge. Herr Becker hält es für möglich, daß das unbekannte Fotoalbum mit den Westerburger Motiven bei dieser Haushaltsauflösung verkauft worden sein könnte. Mag es sich bei dem unbekannten Albumbesitzer um Hugo Wengenroth handeln? Vorerst bleibt es eine Hypothese. (Ergänzung vom 13.05.2025)

An dieser Stelle bitte ich Sie, liebe Westerburgerinnen und Westerburger, um ihre tatkräftige Mithilfe. Haben Sie die beiden Aufnahmen mit dem Festumzug und der Trachtengruppe schon einmal gesehen? Wissen Sie, zu welchem Anlass die Fotografien entstanden sind? Meine Recherchen haben ergeben, daß es ein Trachtenmuseum in Westerburg gibt. Doch gab es auch schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen entsprechenden Trachtenverein? Könnte es sich bei den Kindern um eine damalige Schulklasse mit ihrem Lehrer handeln? Und erkennen sie in den Mädchen und Jungen ihre eigenen Familienmitglieder wieder? (Beitrag vom 10.10.2024)
Festumzug mit Turnverein


„Frisch-Fromm-Fröhlich-Frei“, so ist auf den Schriftbändern der vier Ecken zu lesen. Es handelt sich dabei um den Wahlspruch der Turnerschaft, initiiert von dem Pädagogen und Politker Friedrich Ludwig Jahn, Begründer der deutschen Turnbewegung. Auch das Emblem mit den vier Fs in der unteren Bildmitte nimmt Bezug auf diese Maxime. Das „Gut Heil“, der Ausspruch auf dem Schriftband, ist ein alter Turnergruß. Die Mitte ziert das Wappen der Stadt und der Schriftzug „Westerburg“. (Beitrag vom 11.10.2024)


Hier kam mir wieder einmal die Bildsuchfunktion bei Google Lens zu Hilfe. Gleich der erste Treffer zeigte diesen Straßenabschnitt, stellte eine ganz ähnliche Situation mit Parade dar. Beide Fotografien mußten zum selben Zeitpunkt entstanden und vom gleichen Lichtbildner aufgenommen worden sein. Bei dem Straßenzug handelte es sich um einen Teil der Neustraße. Der Interneteintrag verwies mich auf die jüdische Familie Fuld bzw. Rosenberg, die in dem Haus ganz rechts einmal zu Hause war.
Doch schauen wir uns noch einmal die Aufnahme etwas näher an. Gerade passiert ein Korso mit geschmückten Fahrrädern die Neustraße. Neben der Turnerschaft scheint es auch einen Radfahrverein in Westerburg gegeben zu haben. (Beitrag vom 11.10.2024)
Link zu der fast identischen Aufnahme des Umzugs
Bau der Hülsbachtalbrücke

Vermutlich im Frühjahr des Jahres 1906 dürfte die vorliegende Fotografie entstanden sein. Die als Pendelpfeilerbrücke in Stahlträgerkonstruktion konzipierte Überführung ist bereits ein ganzes Stück gewachsen und stolz präsentieren sich Verantwortliche, Ingenieure und Arbeiter des Baubrojekts der Kamera. Nach Beendigung der Arbeiten erfolgte am 15. Juli 1907 die feierliche Einweihung dieses Teilstücks der Bahnstrecke. (Beitrag vom 14.10.2024)

Bei der Zuordnung des Bildes kam mir die Abhandlung über den Bau der Hülsbachtalbrücke zur Hilfe, die der gebürtige Westerburger Herr Horst Jung 2017 verfasst hat. Dort taucht genau diese Aufnahme wieder auf. Zu sehen sind Arbeiten an der Trasse der Westerwaldquerbahn, vermutlich an genau jenem Teilstück zwischen Westerburg und dem 11 Kilometer entfernten Rennerod. (Beitrag vom 14.10.2024)
Link zu den von Horst Jung verfassten Abhandlungen über die Geschichte Westerburgs u.a. über die Hülsbachtalbrücke
https://hjung.home.ktk.de/Geschichte%20von%20Westerburg.html
Schnappschuß am Schloßberg

Nachtrag: Auch an dieser Stelle geht mein Dank an Herrn Becker, der mich bei dieser Aufnahme auf einige Details aufmerksam machte, die mir zuvor nicht aufgefallen waren. Bei den Utensilien, die der vermeintliche Albumbesitzer und sein Bekannter in den Händen halten, könnte es sich um ein Stativ sowie um einen Behälter für Glasplatten handeln, die zur unverzichtbaren Ausstattung eines professionellen Fotografen gehören.
Spricht man über einen geübten und sachkundigen Lichtbildner in Westerburg, so fällt sofort der Name Eduard Ludwig (1870-1929). Der gelernte Schuhmachermeister hielt als Hobbyfotograf verschiedenste Momente der Westerburger Geschichte fest. Mag es sich bei den Fotografien der Straßenumzüge sowie der Bauarbeiten an der Hülsbachtalbrücke um die aus seiner Hand handeln? Auch das Bild des Transports der Schwedenvilla wirkt gekonnt und könnte von Ludwig aufgenommen worden sein. (Ergänzung vom 13.05.2025)
Westerburg ja oder nein?
An dieser Stelle folgen eine ganze Reihe von Aufnahmen, die sich nicht eindeutig zuschreiben lassen, aber möglicherweise in und um Westerburg entstanden sind. Hierbei geht meine Bitte erneut an alle Leserinnen und Leser des Blogs. Erkennen Sie auf den Fotografien Personen, Hintergründe oder Landschaften, die Sie wiedererkennen und die auf die im Westerwaldkreis gelegene Kleinstadt hindeuten?
Schulfoto

Handelt es sich bei dem Bruchsteinhaus um die alte Schule oder hat sich die Einschulungsgruppe vor einem anderen Gebäude versammelt? Der Eingangsbereich erinnert mich ein wenig an das Rathaus von Westerburg und die frühere Volks-und Mittelschule befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft. Erkennen Sie in den Gesichtern der Kinder Ihre Ur- bzw. Ururgroßeltern wieder? Wie mag der Name des Schullehrers lauten? Und mag es sich um dieselbe Person handeln, die auch auf dem Trachtenbild zu sehen ist? (Beitrag vom 15.10.2024)
Schulkameraden



Ritterspiele?

Könnte es sich bei der Darstellung um eine Form von Ritterspielen handeln? Vieles spricht dafür, auch wenn die Kostümierung etwas wild und nicht recht passend für die dargestellte Zeit scheint. Und dann schließt sich für mich gleich die nächste Frage an. Könnte die Fotografie in Westerburg entstanden sein? Hier geht meine Bitte wieder an alle Leserinnen und Leser dieses Blogs. Kennen Sie ähnliche Aufnahmen dieser Art aus der Westerwälder Kleinstadt? Erkennt jemand den Gebäudekomplex, der im Bildhintergrund zu sehen ist?
Auch auf dieser Fotografie taucht rechts neben der Menschenpyramide das Gesicht unseres mutmaßlichen Albumbesitzers wieder auf. (Beitrag vom 16.10.2024)
Landschaften


Bei meinen Recherchen zu den Bachläufen rund um Westerburg stieß ich auf einen Zeitungsartikel der Westerwälder Zeitung vom Februar diesen Jahres. Dort wird von einem gefährlichen Hochwasser berichtet, daß die Kleinstadt 1909 heimsuchte. Mauern wurden weggerissen, Keller und Häuser liefen voll und in der Region kam es sogar zu Todesfällen. (Beitrag vom 17.10.2024)
Link zum Zeitungsartikel


Pavillon

Altes Ladengeschäft

Das Ladenlokal wirkt nicht besonders groß, beherbergt aber trotzdem eine Fülle an unterschiedlichsten Waren. Da sind Zum Beispiel die großen Stoffrollen, die an der Säule stapeln. Es dürfte sich um einen gröberen Stoff handeln, der eine solche Aufbewahrung zuließ. Die feineren Gewebe lagern sorgsam in den Fächern hinter dem Verkaufstresen. Bei näheren Betrachten meine ich auch einige Garnrollen auszumachen, sowie eine Vielzahl von Stoff-Musterbüchern, die auf dem obersten Regal verstaut sind. Neben dem Textilangebot dürften wohl auch Kurzwaren wie Knöpfe und Schnallen verkauft worden sein. Zudem hängen links an dem Pfeiler Kämme und Haarspangen, die das Angebot ergänzten.
Nun bleibt die spannende Frage, ob es sich bei dem Ladengeschäft um eines der Kleinstadt Westerburg handelt. Hier bitte ich Sie, liebe Leserinnen und Leser erneut um Ihre Mithilfe. Vielleicht können Sie das Geschäft einer Familie Westerburgs zuordnen. (Beitrag vom 13.01.2025)
Nachtrag: Folgt man der Hypothese von Herrn Becker, das das Album aus dem früheren Besitz von Hugo Wengenroth stammt, so könnte diese Aufnahme das Innere des Konfektions- und Manufakturwarengeschäfts Nickol zeigen. (Ergänzung vom 13,05,2025)
Fortsetzung folgt…