Kasches, Heydorschs, Hümmerichs und Zerres ist wohl einem jedem gebürtigen Puderbacher ein Begriff. Vier Familien, die durch ihre Gasthäuser das Leben des Ortes geprägt haben. Manch ein Dorfbewohner feierte hier seine Hochzeit im großen Familienkreis, hat im „Kasino“ zur Musik geschwoft, in müßigen Stunden mit Freunden und Nachbarn Karten gespielt und dazu ein Bierchen getrunken, mit den Kameraden die Kugel auf der Kegelbahn geschwungen. Nur eines der Wirtshäuser existiert noch, wird von der Nachfahrin der früheren Besitzer weitergeführt.
Gasthof Kasche
Die Familie Lennertz, die ersten Besitzer des Gasthofs
Zum ersten Mal hörte ich von der früheren Gastwirtsfamilie durch ein altes Schulfoto, daß um das Jahr 1898 enstanden war. Unter den Schulkindern befand sich ein junges Mädchen mit dem Rufnamen „Lehnhards Futsch“, die Tochter der früheren Gasthofbesitzer. So berichtete mir die alte Dorfbewohnerin, aus deren Besitz die Fotografie stammte. Meine anschließenden Recherchen über eine Familie Lehnhard führten jedoch zu keinem Ergebnis.
Doch eines Tages entdeckte ich durch Zufall bei einer Internetversteigerung eine alte Postkarte Puderbachs, die neben einer Ortsansicht den alten Gasthof Kasche zeigte, vor seiner Zerstörung durch ein Feuer im Jahr 1902. Doch nicht Johannes und Helene Kasche geb. Wendt wurden als Besitzer genannt, nein, das Gasthaus trug den Namen Lennertz. Im Nachhinein hätte mir klar sein müssen, daß durch den Puderbacher Dialekt und die mündliche Überlieferung der Name der Lennertz sprachlich verändert und so ein „Lehnhards“ daraus geworden war.
Im vergangenen Jahr hatte ich die Möglichkeit, Einblick in die alten Protokolle der Puderbacher Gemeinderatssitzungen zu nehmen. Mein Ururgroßvater Friedrich Karl Sanner hatte von 1888 bis zu seinem Tod 1912 das Amt des Gemeindevorstehers inne und war somit auch festes Mitglied des Gemeinderats und es interessierte mich, mit welchen Fragen und Aufgaben er dort zu tun hatte. Unter den vielen Anträgen und Beschlüßen fand sich der Name des Gastwirts mehrfach wieder, u.a. in einer Gemeinderatssitzung aus dem Jahr 1901, in der Wilhelm Lennertz die Anbringung einer elektrischen Leitung beantragte, sowie in dem Sitzungprotokoll vom 1. Januar 1903. Darin beschlossen die Ratsmitglieder, ihm die fällige Wassersteuer zu erlassen, da ein Jahr zuvor das Gasthaus durch einen Brand völlig zerstört wurde.
Nun hatte ich endlich einen vollständigen Vor- und Zunamen, mit dem ich weitere Nachforschungen anstellen konnte. Bei meiner erneuten Recherche stieß ich auf einen Todesfall in Puderbach am Sonntag, den 16. Juni 1901. Verstorben war die Witwe des Johann Hubert Lennertz, Wilhelmine Lennertz geb. Obhaus, geboren am 6. August 1816. Sie starb an Altersschwäche und hinterließ zwei Kinder. Interessant war der handschriftliche Vermerk durch Pfarrer Mohn. Er schrieb: „Die Leiche wurde nach Krefeld gebracht. Am Sarge wurde eine kleine Trauerrede gehalten u. der Sarg zum Bahnhof begleitet.“ Nun mußte man davon ausgehen, daß es sich bei jener Wilhelmine Lennertz um Wilhelm Lennertz Mutter handelte. Durch diese konkreten Geburts- und Ortsangaben nahm die Suche an Fahrt auf.
Durch die Internetportale „familysearch“, „GEDBAS“ und „ancestry“ nahm der Stammbaum der Lennertz immer mehr Gestalt an. Geboren wurde Wilhelmine Lennertz geb. Obhaus in Kleve, nahe der holländischen Grenze. Am 17. Februar 1854 heiratete sie in Krefeld den aus Broich bei Jülich kommenden Katholiken Joh. Hubert Lennertz. Das Paar bekam zwei Söhne, den 1854 geborenen Karl Johann und, für uns interessanter, den am 10. Januar 1861 geborenen Wilhelm Heinrich, der spätere Gasthofbesitzer in Puderbach. Beide wurden im katholischen Glauben erzogen. Das nächste gesicherte Datum über Wilhelm Lennertz ist seine Heirat am 1. September 1894 in Traben-Trarbach mit Elisabeth Seif. Ich gehe davon aus, daß es sich dabei um seine 2. Ehefrau handelte und er bereits Kinder aus der 1. Ehe mitbrachte, u.a. jene „Lehnhards Futsch“ auf dem alten Schulbild.
Lange fragte ich mich, wohin es die Familie nach ihrem Aufenthalt in Puderbach verschlagen hatte. Und Sie können sich vorstellen, daß ich nicht schlecht staunte, als ich las, daß Wilhelm Lennertz am 3. Juni 1914 in Taubaté, eine Ortschaft unweit der Millionenmetropole Săo Paulo in Brasilien verstorben war. Seine 13 Jahre jüngere Frau Elisabeth starb 1960 in Rio de Janeiro. Einige seiner Kinder begleiteten den Vater in die neue Heimat und bis heute leben Nachfahren der Lennertz in Südamerika. (ergänzender Beitrag vom 14.09.2022)
Johannes und Helene Kasche
Wann genau das Ehepaar Johannes und Helene Kasche den Gasthof übernahm, ist mir leider nicht bekannt. Doch bereits vor dem verheerenden Brand im Jahr 1902 trug die Gaststätte ihren Namen. Somit kann man davon ausgehen, daß das Paar zunächst als Pächter den Betrieb führte.
Doch woher stammte das Paar gebürtig und was führte sie in das abgelegene Westerwalddorf? Der gelernte Kaufmann Johannes Kasche wurde am 20. November 1849 in der Kleinstadt Kalau im heutigen Landkreis Oberspreewald-Lausitz geboren. Seine zwei Jahre jüngere Frau Helene, eine geborene Wendt, stammte aus Niesky bei Görlitz. Der Vater besaß eine Fabrik für Möbel und Holzarchitektur, die 1886 von der Evangelischen Kirchengemeinde Puderbach betraut wurde, für den neuen Kirchenbau die Kanzel und den Altartisch zu gestalten. Dieser Auftrag dürfte das junge Paar Ende des 19. Jahrhunderts in den Westerwald geführt haben.
Der Gasthof brennt
Am Donnerstag, den 17. Juli 1902 kam es dann zu einem folgenschweren Brand, bei dem die Gastwirtschaft komplett niederbrannte. Aus dem Tagebuch des Ortsgerichts Puderbach lässt sich entnehmem, daß die Vernichtung des Gebäudes Wilhelm Lennertz in den Konkurs getrieben hatte und er Grund und Boden an die Kasches abtreten mußte. Diese sind es, die das Anwesen in seiner heutigen Form 1903 neu errichteten.
Die nächste Generation
Von den beiden Töchtern des Paares war es die 1875 geborene Helene Margarethe Kasche verheiratete Velden, die in die Fußstapfen der Eltern trat und spätestens ab 1920 die Führung des Gasthof nebst Fremdenzimmern und Kolonialwarenhandlung übernahm. Bei den Dorfbewohnern war sie allseits als „Kasches Grit“ bekannt.
„Kasches Grit“
Geheiratet hatte Margarethe am 17. Dezember 1903 den aus Büchenbeuren im Hunsrück stammenden und in Mehren als Förster tätigen Wilhelm Velden. Ihr Ehemann brachte eine Tochter aus 1. Ehe mit in die Verbindung, die 1899 geborene Klara, die 1923 den aus Geilnau an der Lahn kommenden Arzt Dr. Ludwig Hennemann heiratete. Er und seine Tochter Renate führten viele Jahrzehnte eine Arztpraxis im Reichensteiner Weg und dürften manchen Puderbacher noch ein Begriff sein.
Helene und Erika
1907 wurde Magarethe und Wilhelm Velden die erste gemeinsame Tochter Helene geboren, 1909 kam die zwei Jahre jüngere Erika auf die Welt. Die beiden Mädchen waren in den Arbeitsalltag von Lokal und Ladengeschäft von Kindesbeinen mit eingebunden, gingen Eltern und Großeltern wie selbstverständlich zur Hand. Soweit ich mich erinnere, besuchten die beiden Mädchen nicht die hiesige Volksschule, sondern wurden von einem Privatlehrer zu Hause unterrichtet.
Kasches Len
Die Nachfolgerin vom „Kasches Grit“ wurde ihre unverheiratete älteste Tochter Helene. Sie hatte mit ihrer unnachahmlichen Art noch viele Jahrzehnte die Gastwirtschaft Kasche geleitet. Erst mit 72 Jahren setzte sie sich zur Ruhe. Sie starb 1998 mit 91 Jahren.
Pizzeria „Il Nuraghe“
1984 übernahm die aus Sardinien stammende Familie Sagheddu den Betrieb und wandelte ihn erfolgreich in ein italienisches Restaurant um. 33 Jahre leitete Nanni und seine Frau Maria mit ihrer freundlichen Art das Lokal.
Heute steht das Gebäude zum Verkauf.
Gasthof Hümmerich
Am 22. März 1876 unternimmt der Dorflehrer Kuhl aus Muscheid aus Anlass des 79. Geburtstags des Kaisers Wilhelm I. einen Ausflug ins nahegelegene Puderbach und kehrt nach einem Gottesdienstbesuch mit den Schülern im Gasthof Hümmerich für einen Kaffee ein. Der Bericht zeigt, daß die Gaststätte auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Schon vorher existierte eine Bäckerei, die wie unten auf der Werbeanzeige zu sehen ist, auch später ein wichtiges Standbein darstellt.
Im Kasino
Meine Großmutter konnte sich nur zu gut an die Sonntagnachmittage im „Kasino“ der Gaststätte Hümmerich erinnern. Es handelte sich dabei um einen geräumigen Tanzsaal, in dem ein elektrisch angetriebenes „Orchestrion“ aufgestellt war, eine Art Klavier, in deren Inneren sich ein ganze Musikkapelle an Instrumenten mit Schlagzeug, Orgelpfeife, Triangel, Glocke und Becken befand, die durch Notenrollen, Lochscheiben oder Kartonstreifen übertragen, beliebte Schlager der Zeit vorspielten und zu denen das Tanzbein geschwungen wurde. Bis zum Abend hatte sich der Raum mit immer mehr jungen Leuten gefüllt, bis ein einziger großer Tisch entstand, der das ganze Lokal ausfüllte.
Liebe Grüße
Die Postkarte oben wurde 1935 vermutlich von Johanna Dills an die Schwester meines Großvaters geschickt. Sie befand sich zu Besuch bei Verwandten in Bochum. Sie schreibt:
„Liebe Karoline! Habe Deine Karte erhalten und gesehen, daß es Dir gut gefällt. Es ist Sonntag Nachmittag. Anna und ich sitzen bei Hümmerichs im Kasino. Wo Hilde (Born/“Hoochspitterichs“?) ist, weiß ich nicht. Vielleicht auf der Urbacher Kirmes, ich glaube es aber nicht. Wie verbringt ihr den Sonntag? Es grüßt dich herzlich Johanna. Gruß an Frieda. Gruß von Anna Born („Hoochspitterichs“). Hilde ist gerade gekommen. Sie läßt Euch alle grüßen.“
Gasthof Heydorsch
Die Ursprünge der Gastwirtschaft gehen ins 19. Jahrhundert zurück. Die Familie Heydorn stammte ursprünglich aus Dierdorf und siedelte sich in Puderbach vermutlich um 1850 an. Es ist Louis Heydorn und seine aus Lahrbach stammende Frau Sophie geb. Göbler die die Begründer der Wirtschaft nebst Bäckerei sind.
Christian Weber und Louise Heydorn
Das Ehepaar Heydorn hatte nur eine Tochter, die am 2. September 1869 geborene Louise. Sie heiratet am 28. Juni 1893 den ebenfalls aus Puderbach stammenden Ackerer Christian Weber. Auch zukünftig wird die Familie ihren Lebensunterhalt nicht nur durch den Gastbetrieb, sondern auch durch eine umfangreiche Landwirtschaft bestreiten.
Brand im Gasthof
Im Jahr 1901 kommt es, ähnlich wie bei der Gaststätte Kasche, zu einem folgenschweren Brand, der das Hauptgebäude völlig zerstört. Daraufhin entsteht der Neubau in seiner heutigen Form.
Die Kinder der Webers
Dem Ehepaar Weber werden eine große Zahl an Kindern geschenkt, beginnend mit dem im Jahr 1894 geborenen Louis. Es folgen 1895 Rudolf, 1896 Richard, 1898 Paula, 1903 Alfred und 1906 die letztgeborene Hilde.
Erste Umbauten
Vermutlich um 1930 nehmen die Webers erste bauliche Veränderungen vor. Die Gaststube wird erweitert und die recht kleinen Fenster des Gasthofs werden durch größere ersetzt, um den Gastraum heller zu gestalten.
Alfred Weber und Irmgard geb. Kaul
1937 heiratet dann Alfred, der zweitjüngste Spross der Familie, die 1914 in Dernbach geborene Irmgard Kaul. Die Hochzeit wird groß gefeiert, wie man auf der Aufnahme unten sieht.
Erna Mayer
Die Umstände, wie die aus einer unehelichen Beziehung zwischen einer Jüdin und einem Katholiken stammende Erna Mayer nach Puderbach kam und zum Mitglied der Weber-Familie wird, soll in dem Kapitel über das jüdische Leben näher beschrieben sein.
Verfolgt von den Nazis
Nur dem unermüdlichem Einsatz der Familie Weber und des Papierfabrikbesitzers Halstrick aus Raubach ist es zu verdanken, daß das „Heydorsch Erna“ in den 1940er Jahren nicht abgeholt und deportiert wird. Immer wieder, wenn bekannt wird, daß eine Ergreifung bevorsteht, wird die Halbjüdin versteckt, manchesmal im Kofferraum des Wagens des Unternehmers Halstrick, der seinen Chauffeur anweist, solange herumzufahren, bis die Gefahr vorbei ist.
Heydorsch Luise und Axel
Zwei Kinder werden dem Ehepaar Alfred und Irmgard Weber geschenkt. 1940 kommt Luise zur Welt und sechs Jahre später erblickt Axel das Licht der Welt. Für die beiden Kinder muß es eine quirlige und niemals langweilig werdende Kindheit gewesen sein. Zum einem das Kommen und Gehen in der Gaststube, zum anderen die Großfamilie mit den unverheirateten Geschwistern des Vaters und der angenommenen Erna Mayer.
Weiter in Familienhand
Dem „Heydorsch Luise“ lag das Wohl und der Erhalt der Wirtschaft lebenslang am Herzen. Nach ihrer Hochzeit 1965 mit dem aus Emsdetten stammenden Bernd Müller werden die beiden gemeinsam die Gaststätte leiten. Mit ihrer zupackenden und einnehmenden Art prägen sie viele Jahre den Betrieb. Heute ist es ihre Tochter, die das Haus im Sinne ihrer Vorfahren weiterführt. Danke liebe Annette, daß Du die Tradition der Familie aufrecht erhältst!
Links:
Über die Rheinlandbesetzung
Heydorsch bei facebook
https://m.facebook.com/Heydorsch/posts/
Das Restaurant u. Lebensmittelgeschäft Zerres
Mühlenbesitzer in Dendert
Die Familie Zerres stammt ursprünglich aus dem bei Oberdreis gelegenen Dendert und führte hier seit 1851 bis ins Jahr 1892 die oberschächtige Walzenmühle. Ab spätestens 1911 trifft man den Müller Karl Zerres und seine Familie in Puderbach an. Bis um die 1920er Jahre führt er hier den Mühlbetrieb, bevor das von der Helmerother Mühle bei Flögert kommende Ehepaar Heinrich und Katharina Kölbach die Arbeit übernimmt.
Restaurant und Lebensmittelgeschäft
Um 1925, der Sohn Willi hat gerade die aus Niederbieber stammende Emma Dümmler geheiratet, eröffnet die Familie das neugebaute Geschäftshaus, in dem sich linkerhand die Gaststube befindet und man rechterhand das gut sortierte Lebensmittelgeschäft betritt. in der 1. Etage und im Dachgeschoß wohnt die Familie.
Erweiterungsbau
Um das Jahr 1936 erweitert die Familie Zerres ihre Gaststube durch den Anbau des Tanz- und Festsaals. Außerdem wird das Lebensmittel- und Drogeriegeschäft um einen Seitenflügel mit zweitem Eingang vergrößert.
Gerda und Reinhold Zerres
Die beiden Kinder von Willi und Emma Zerres sind der 1935 geborene Reinhold und seine neun Jahre ältere Schwester Gerda.
1950er Jahre bis heute
Zunächst läuft der Betrieb von Gaststube und Lebensmittelgeschäft in den 1950er Jahren ganz normal weiter. Dann im Dezember 1962 verstirbt Willi Zerres nach langer Krankheit. Emma, der Sohn Reinhold und die Schwiegertochter Elfriede führen Wirtsstube und Lebensmittelhandel weiter, wobei der Saal nicht mehr genutzt und das Geschäft ganz auf Drogerie- und Schreibwaren umgestellt wird.
Erinnern Sie sich noch an die Inneneinrichtung der Gaststube? Mir ist die auf einem Sims stehende Büste von Wilhelm II. noch so lebhaft vor Augen, als wäre es gestern gewesen. Ansonsten meine ich mich zu entsinnen, daß die Wirtschaft noch bis 1995 geöffnet war. Danach baute man das Ladenlokal im Bereich des Gastraums aus. Die Tochter Frauke stieg mit frischen Ideen ins Geschäft ein, erweiterte das Sortiment um den Verkauf von Schulbüchern und anderen Druckerzeugnissen.
Mein Dank gilt der Familie, die mir freundlicherweise viele der hier gezeigten Fotos zur Verfügung gestellt hat.
Links:
https://www.zerres-puderbach.de/
Die Metzgerei und Gastwirtschaft Schneider
Es beginnt mit einer Beschwerde
Im Oktober 1934 beantragt der aus Roßbach stammende Artur Schneider bei der Puderbacher Bürgermeisterei eine Konzession zur Eröffnung einer eigenen Metzgerei. Kurz zuvor hatte er und seine Frau Johanna das Haus des jüdischen Ehepaars Anna und Arthur Sommer an der Ecke Hauptstraße-Schulstraße für 14.000 RM käuflich erworben. In den darauf folgenden Monaten beginnt das Ehepaar mit den für die Fleischerei erforderlichen Umbaumaßnahmen.
Die Gemeinde steht dem Gesuch Schneiders äußerst positiv gegenüber, da erreicht Bürgermeister Günther ein Beschwerdeschreiben vom Landratsamt in Neuwied. Dort hatte sich der Sohn des in der Mittelstraße schon seit vielen Jahren tätigen Fleischers Wilhelm Hottgenroth über die mögliche Vergabe einer zweiten Lizenz beschwert. Die Antwort Günthers lässt nicht lange auf sich warten und fällt für den Beschwerdeführer verheerend aus. Am 12. Mai 1935 schreibt er an den Herrn Landrat wie folgt:
„…Vor dem Kriege waren stets zwei Metzger in Puderbach. Ein Metzger ist während des Krieges gefallen, dessen Geschäft nicht wieder in Betrieb kam.* H. war die ganze Zeit der einzige Metzger in Puderbach und hätte ein glänzendes Geschäft haben können. Seine Sauberkeit ließ aber sehr zu wünschen übrig. Infolgedessen bezieht ein großer Teil der Bevölkerung das Fleisch von auswärtigen Metzgern. So wird der Ort z.Zt. von 6 auswärtigen Metzgern, darunter 2 Juden beliefert. H. beruft sich bei seiner Eingabe auf den Veterinärsrat Homp in Neuwied. Gerade dieser hat in vielen Fällen die Unsauberkeit und Nachlässigkeit im Betriebe des H. beanstandet. Der größte Teil der Bevölkerung wünscht deshalb einen zweiten Metzgereibetrieb, weil die Wurst bei H. sehr häufig zu beanstanden ist und die Leute deshalb genötigt sind, Wurstwaren auswärts zu kaufen oder selbst zu schlachten…“ (*gemeint ist der bereits 1914 gefallene koschere Metzger Berthold Bär)
Im Weiteren weist Günther auf die profunde Ausbildung Schneiders hin, der sein Handwerk in der Metzgerei Imhäuser in Rengsdorf erlernt hat, später Geselle im Fleischereibetrieb der Familie Sassmannshausen in Betzdorf war und, im Gegensatz zu Hottgenroths Sohn, über eine Meisterprüfung verfügt. Auch seine dem Zeitgeist entsprechende tadellose Gesinnung bleibt nicht unerwähnt.
Artur und Johanna Schneider müssen noch bis zum Jahr 1936 warten, ehe der Deutsche Fleischerverband Rheinland die heiß ersehnte Konzession gewährt.
Eröffnung
1936 ist es dann endlich soweit und das Ehepaar Schneider eröffnet ihre Metzgerei an der Mittelstraße. Die Puderbacher Dorfbewohner werden das hervorragende Angebot an Fleisch- und Wurstwaren dankbar angenommen haben.
Im Jahr der Eröffnung wird auch das erste Kind der Schneiders geboren. Am 23. April 1936 kommt die Tochter Anneliese zur Welt.
Kriegsausbruch 1939
Artur und Johanna Schneider bleiben nur wenige unbeschwerte Jahre, bevor am 1. September 1939 auf Befehl Hitlers deutsche Truppen Polen überfallen und somit den 2. Weltkrieg auslösen. Auch Artur wird infolgedessen eingezogen und vermutlich ab 1941 an der Ostfront eingesetzt. Bei seinem Heimaturlaub im Jahr 1944 wird er seine inzwischen 8jährige Tochter Anneliese und die 1943 geborene einjährige Tochter Rosemarie ein letztes Mal in die Arme schließen. Das es ein Abschied für 10 Jahre sein würde, ahnte damals niemand.
Kriegsgefangenschaft
Drei lange Jahre mußte mein Großvater im französischen Kriegsgefangenenlager bei Langres Sühne leisten für die mannigfaltigen Verbrechen der Deutschen Wehrmacht.
Artur Schneider ereilt ein noch viel härteres Schicksal. Erst im Jahr 1953, acht Jahre nach Kriegsende, werden er und 7000 andere Männer nach vermutlich zähen Verhandlungen zwischen der westdeutschen Regierung und der kommunistischen Führung in Moskau aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft entlassen. Ob seine Frau Johanna damals unter den zahlreichen Angehörigen ist, die die Männer am 25. September am innerdeutschen Grenzübergang Herleshausen in Empfang nehmen?
https://www.tagesschau.de/jahresrueckblick/meldung228208.html
Neue Pläne
Endlich kann Artur nach seiner Rückkehr die Metzgerei wieder selbst leiten. Der Fleischermeister Will hatte in seiner Abwesenheit das Ladengeschäft gepachtet. Doch schon bald reifen neue Pläne in dem Ehepaar Schneider. Was wäre, wenn Sie die Fleischerei durch einen Gaststättenbetrieb erweitern?
1956 ist das Vorhaben bereits in die Tat umgesetzt und der Gasthof Schneider mit seiner Einrichtung ganz im Stil der 1950er Jahre wird eingeweiht.
Bis in die 1980er Jahre bleibt die Gaststätte in Betrieb, wird in den letzten Jahren aber an einen Pächter übergeben. Die Metzgerei dient nach ihrer Schließung der ältesten Tochter Anneliese und ihrem Sohn noch einige Jahre als Blumenladen, an den auch ich mich gerne zurückerinnere.
(Beitrag vom 22. November 2021)