Die Gasthäuser des Ortes

Kasches, Heydorschs, Hümmerichs und Zerres ist wohl einem jedem gebürtigen Puderbacher ein Begriff. Vier Familien, die durch ihre Gasthäuser das Leben des Ortes geprägt haben. Manch ein Dorfbewohner feierte hier seine Hochzeit im großen Familienkreis, hat im „Kasino“ zur Musik geschwoft, in müßigen Stunden mit Freunden und Nachbarn Karten gespielt und dazu ein Bierchen getrunken, mit den Kameraden die Kugel auf der Kegelbahn geschwungen. Nur eines der Wirtshäuser existiert noch, wird von der Nachfahrin der früheren Besitzer weitergeführt.

Gasthof Kasche

Die Familie Lennertz, die ersten Besitzer des Gasthofs

Zum ersten Mal hörte ich von der früheren Gastwirtsfamilie durch ein altes Schulfoto, daß um das Jahr 1898 enstanden war. Unter den Schulkindern befand sich ein junges Mädchen mit dem Rufnamen „Lehnhards Futsch“, die Tochter der früheren Gasthofbesitzer. So berichtete mir die alte Dorfbewohnerin, aus deren Besitz die Fotografie stammte. Meine anschließenden Recherchen über eine Familie Lehnhard führten jedoch zu keinem Ergebnis.

Ganz rechts sehen wir das sogenannte „Lenhards Futsch“, die Tochter des früheren Besitzer des Gasthof Kasche. Der Ausschnitt stammt von einem Schulfoto, daß um 1898 entstanden sein dürfte. Bei den übrigen Klassenkameradinnen handelt es sich von links nach rechts um die spätere Hebamme Mina Schäfer verh. Kunz (Wenersch), ihre Schwester Luise Schäfer, Minna Göbler verh. Müller und ihre Cousine Anna Göbler (Hennerichs).

Doch eines Tages entdeckte ich durch Zufall bei einer Internetversteigerung eine alte Postkarte Puderbachs, die neben einer Ortsansicht den alten Gasthof Kasche zeigte, vor seiner Zerstörung durch ein Feuer im Jahr 1902. Doch nicht Johannes und Helene Kasche geb. Wendt wurden als Besitzer genannt, nein, das Gasthaus trug den Namen Lennertz. Im Nachhinein hätte mir klar sein müssen, daß durch den Puderbacher Dialekt und die mündliche Überlieferung der Name der Lennertz sprachlich verändert und so ein „Lehnhards“ daraus geworden war.

Leider kam mir bei der Versteigerung der alten Ansichtskarte ein anderer Bieter zuvor. Doch Herr Zantop war so freundlich, mir sein Exemplar aus dem Jahr 1901 zur Verfügung zu stellen. Die beiden Aufnahmen, die die Grußkarte zieren, sind im Winter aufgenommen und Puderbach zeigt sich im weißen Kleid. Die Ansicht des Puderbacher Kirchdorfs ist aus östlicher Richtung aufgenommen und im Vordergrund erkennt man Holzbach und Mühlgraben sowie das Gleisbett der Schienen. Die kleinere Ablichtung zeigt den Gasthof Lennertz. Vor dem stattlichen Fachwerkgebäude haben sich einige Personen eingefunden, möglicherweise Mitglieder der Gastwirtsfamilie. Besonders außergewöhnlich ist der winterliche Pferdeschlitten. (Beitrag vom 11.03.2024)

Im vergangenen Jahr hatte ich die Möglichkeit, Einblick in die alten Protokolle der Puderbacher Gemeinderatssitzungen zu nehmen. Mein Ururgroßvater Friedrich Karl Sanner hatte von 1888 bis zu seinem Tod 1912 das Amt des Gemeindevorstehers inne und war somit auch festes Mitglied des Gemeinderats und es interessierte mich, mit welchen Fragen und Aufgaben er dort zu tun hatte. Unter den vielen Anträgen und Beschlüßen fand sich der Name des Gastwirts mehrfach wieder, u.a. in einer Gemeinderatssitzung aus dem Jahr 1901, in der Wilhelm Lennertz die Anbringung einer elektrischen Leitung beantragte, sowie in dem Sitzungprotokoll vom 1. Januar 1903. Darin beschlossen die Ratsmitglieder, ihm die fällige Wassersteuer zu erlassen, da ein Jahr zuvor das Gasthaus durch einen Brand völlig zerstört wurde.

Im Jahr 1901 beantragt Wilhelm Lennertz beim Puderbacher Gemeinderat die Anbringung einer elektrischen Leitung. Im Protokoll heißt es wie folgt: „4. Gesuch des Wirts Lennertz um Erteilung der Erlaubnis/zur Benutzung der Dorfstraßen für Anbringung einer elektrischen Leitung. Vertretung ist mit Anbringung der Leitung unter der Bedingung einverstanden, daß Lennertz entweder eine annehmbare Kaution stellt oder nachweist, daß er bei der Haftpflichtversicherung versichert ist.“
Unter der Nummer 4 genehmigten die Mitglieder des Gemeinderates die Niederschlagung der fälligen Wassersteuer von 13 Mark und 33 Pfennigen für Wilhelm Lennertz, da sein Anwesen ein halbes Jahr zuvor niedergebrannt war.

Nun hatte ich endlich einen vollständigen Vor- und Zunamen, mit dem ich weitere Nachforschungen anstellen konnte. Bei meiner erneuten Recherche stieß ich auf einen Todesfall in Puderbach am Sonntag, den 16. Juni 1901. Verstorben war die Witwe des Johann Hubert Lennertz, Wilhelmine Lennertz geb. Obhaus, geboren am 6. August 1816. Sie starb an Altersschwäche und hinterließ zwei Kinder. Interessant war der handschriftliche Vermerk durch Pfarrer Mohn. Er schrieb: „Die Leiche wurde nach Krefeld gebracht. Am Sarge wurde eine kleine Trauerrede gehalten u. der Sarg zum Bahnhof begleitet.“ Nun mußte man davon ausgehen, daß es sich bei jener Wilhelmine Lennertz um Wilhelm Lennertz Mutter handelte. Durch diese konkreten Geburts- und Ortsangaben nahm die Suche an Fahrt auf.

Pfarrer Mohns handschriftlicher Zusatz zum Eintrag des Todes von Wilhelmine Lennertz geb. Obhaus.

Durch die Internetportale „familysearch“, „GEDBAS“ und „ancestry“ nahm der Stammbaum der Lennertz immer mehr Gestalt an. Geboren wurde Wilhelmine Lennertz geb. Obhaus in Kleve, nahe der holländischen Grenze. Am 17. Februar 1854 heiratete sie in Krefeld den aus Broich bei Jülich kommenden Katholiken Joh. Hubert Lennertz. Das Paar bekam zwei Söhne, den 1854 geborenen Karl Johann und, für uns interessanter, den am 10. Januar 1861 geborenen Wilhelm Heinrich, der spätere Gasthofbesitzer in Puderbach. Beide wurden im katholischen Glauben erzogen. Das nächste gesicherte Datum über Wilhelm Lennertz ist seine Heirat am 1. September 1894 in Traben-Trarbach mit Elisabeth Seif. Ich gehe davon aus, daß es sich dabei um seine 2. Ehefrau handelte und er bereits Kinder aus der 1. Ehe mitbrachte, u.a. jene „Lehnhards Futsch“ auf dem alten Schulbild.

Lange fragte ich mich, wohin es die Familie nach ihrem Aufenthalt in Puderbach verschlagen hatte. Und Sie können sich vorstellen, daß ich nicht schlecht staunte, als ich las, daß Wilhelm Lennertz am 3. Juni 1914 in Taubaté, eine Ortschaft unweit der Millionenmetropole Săo Paulo in Brasilien verstorben war. Seine 13 Jahre jüngere Frau Elisabeth starb 1960 in Rio de Janeiro. Einige seiner Kinder begleiteten den Vater in die neue Heimat und bis heute leben Nachfahren der Lennertz in Südamerika. (ergänzender Beitrag vom 14.09.2022)

Der Gasthof Kasche vor der Zerstörung durch ein Feuer im Jahre 1902. Ein Jahr später wird die Gaststätte in ihrer heutigen Form wiedereröffnet.
Johannes und Helene Kasche

Wann genau das Ehepaar Johannes und Helene Kasche den Gasthof übernahm, ist mir leider nicht bekannt. Doch bereits vor dem verheerenden Brand im Jahr 1902 trug die Gaststätte ihren Namen. Somit kann man davon ausgehen, daß das Paar zunächst als Pächter den Betrieb führte.

Doch woher stammte das Paar gebürtig und was führte sie in das abgelegene Westerwalddorf? Der gelernte Kaufmann Johannes Kasche wurde am 20. November 1849 in der Kleinstadt Kalau im heutigen Landkreis Oberspreewald-Lausitz geboren. Seine zwei Jahre jüngere Frau Helene, eine geborene Wendt, stammte aus Niesky bei Görlitz. Der Vater besaß eine Fabrik für Möbel und Holzarchitektur, die 1886 von der Evangelischen Kirchengemeinde Puderbach betraut wurde, für den neuen Kirchenbau die Kanzel und den Altartisch zu gestalten. Dieser Auftrag dürfte das junge Paar Ende des 19. Jahrhunderts in den Westerwald geführt haben.

Der Gasthof brennt

Am Donnerstag, den 17. Juli 1902 kam es dann zu einem folgenschweren Brand, bei dem die Gastwirtschaft komplett niederbrannte. Aus dem Tagebuch des Ortsgerichts Puderbach lässt sich entnehmem, daß die Vernichtung des Gebäudes Wilhelm Lennertz in den Konkurs getrieben hatte und er Grund und Boden an die Kasches abtreten mußte. Diese sind es, die das Anwesen in seiner heutigen Form 1903 neu errichteten.

1903 ist der Gasthof Kasche das stattlichste Gebäude im ganzen Dorf. Die Aufnahme dürfte aus Anlass der Wiederöffnung in diesem Jahr entstanden sein. Rechts, im Fenster neben der Eingangstreppe, sehen wir die stolzen Eigentümer, Johannes und Helene Kasche geb. Wendt. Bei der jungen Dame mit langer Servierschürze könnte es sich um eine der beiden Töchter handeln. (Beitrag vom 11.03.2024)
Die nächste Generation

Von den beiden Töchtern des Paares war es die 1875 geborene Helene Margarethe Kasche verheiratete Velden, die in die Fußstapfen der Eltern trat und spätestens ab 1920 die Führung des Gasthof nebst Fremdenzimmern und Kolonialwarenhandlung übernahm. Bei den Dorfbewohnern war sie allseits als „Kasches Grit“ bekannt.

Hinten rechts sieht man Johannes u. Helene Kasche geb, Wendt, vor ihnen die beiden Enkeltöchter Helene Velden im weißen Kleid und Erika Velden verh. Lübke, links neben den beiden Mädchen ihre Mutter Margarethe Velden geb. Kasche und ganz links möglicherweise die Schwester des „Kasches Grit“ Theodore verh. Dorr.
„Kasches Grit“

Geheiratet hatte Margarethe am 17. Dezember 1903 den aus Büchenbeuren im Hunsrück stammenden und in Mehren als Förster tätigen Wilhelm Velden. Ihr Ehemann brachte eine Tochter aus 1. Ehe mit in die Verbindung, die 1899 geborene Klara, die 1923 den aus Geilnau an der Lahn kommenden Arzt Dr. Ludwig Hennemann heiratete. Er und seine Tochter Renate führten viele Jahrzehnte eine Arztpraxis im Reichensteiner Weg und dürften manchen Puderbacher noch ein Begriff sein.

Eine Werbeanzeige der Gastwirtschaft Kasche. Da Helene bereits als Witwe Wilhelm Velden bezeichnet wird, muß die Annonce nach 1921, dem Todesjahr des Ehemanns, erschienen sein. (Beitrag vom 11.03.2024)
Eine Aufnahme um 1930. In der Mitte auf dem Stuhl sitzend Margarethe Velden „dat Kasches Grit“, links neben ihr stehend ihre Tochter Helene Velden, rechts stehend der damalige Bierfahrer des Hauses Ernst Kunz, durch seine Anstellung auch „Kasches Ernst“ gerufen, links sitzend die damalige Köchin und rechts unten Lina Funk, ein Mädchen aus der Nachbarschaft.
Der Gasthof Kasche in den 1930er Jahren.
Helene und Erika

1907 wurde Magarethe und Wilhelm Velden die erste gemeinsame Tochter Helene geboren, 1909 kam die zwei Jahre jüngere Erika auf die Welt. Die beiden Mädchen waren in den Arbeitsalltag von Lokal und Ladengeschäft von Kindesbeinen mit eingebunden, gingen Eltern und Großeltern wie selbstverständlich zur Hand. Soweit ich mich erinnere, besuchten die beiden Mädchen nicht die hiesige Volksschule, sondern wurden von einem Privatlehrer zu Hause unterrichtet.

Eine wunderbare Aufnahme der beiden Geschwister Helene und Erika Velden um 1930.
Auf dieser Aufnahme, die vor der Gastwirtschaft aufgenommen wurde, sind von links nach rechts zu sehen: Erika Velden verh. Lübke, …, Helene Velden, …, Emil Schmidt (da sein Vater früher Bierfahrer des Gasthofs war, trägt er den Rufnamen „Kasches-Schmidts“), Kurt Staatsmann, Hermann Hoffmann, …, Gustav Bay und Otto Bachenberg („Lissjes“). Oben auf der Treppe steht der kleinwüchsige Gustav Bär („Heims“). Kennen Sie die fehlenden Personen?
1934 fand die Hochzeitsfeier von Bertha Brauer mit dem aus Mahlert stammenden Rudolf Hoffmann mit vielen Verwandten, Freunden und Nachbarn bei „Kasches“ statt. Für das Gruppenfoto fand sich die Gesellschaft vor dem Gasthof zusammen. In der ersten Reihe links neben dem Paar sitzen die Eltern der Braut Christian Brauer und seine Frau Sophie. Alle mir sonst bekannten Personen sind durchnummeriert: 1 Wilhelm Schäfer („Wenersch“), 2 Maria Scheiderer verh. Bayerle („Runklersch“), 3 ihre Mutter Bertha Scheiderer geb. Haag, 4 der Bruder des Bräutigams, 5 Hilda Velten („Schurrmes“), 6 die Schwester der Braut Anna Brauer, 7 Willi Hörder, 8 Anna Schmidt verh. Barth („Kasches-Schmidt“), 9 Emma Hörder, 10 Karoline Kuhl („Schlössersch“), 11 der Bruder der Braut Werner Brauer und 12 Wilhelmine Bierbrauer geb. Schneider vorher verh. Weingarten. Erkennen Sie noch weitere Personen?
Kasches Len

Die Nachfolgerin vom „Kasches Grit“ wurde ihre unverheiratete älteste Tochter Helene. Sie hatte mit ihrer unnachahmlichen Art noch viele Jahrzehnte die Gastwirtschaft Kasche geleitet. Erst mit 72 Jahren setzte sie sich zur Ruhe. Sie starb 1998 mit 91 Jahren.

Die einmalige und von allen geschätzte Gastwirtin Helene Velden mit weißer Servierschürze umringt von Mitgliedern des Puderbacher Männergesangvereins um das Jahr 1949. Könnte es sich bei der Hausfassade um die Rückseite des Gasthofes handeln?
Eine wunderschöne Aufnahme des Gasthofs Kasche enstanden Angang der 1950er Jahre. Bei den schicken Automobilen, die hier vorm Eingang parken, handelt es sich ganz rechts um einen Opel Olympia, der im Juli 1950 zum ersten Mal vom Band lief. (Beitrag vom 11.03.2024)
Mein Vater (links) mit Freunden bei Kasches Ende der fünfziger Jahre.
Pizzeria „Il Nuraghe“

1984 übernahm die aus Sardinien stammende Familie Sagheddu den Betrieb und wandelte ihn erfolgreich in ein italienisches Restaurant um. 33 Jahre leitete Nanni und seine Frau Maria mit ihrer freundlichen Art das Lokal.

Heute steht das Gebäude zum Verkauf.

Gasthof Hümmerich

Eine Detailaufnahme einer alten Postkarte, die 1904 verschickt wurde und den Gasthof Hümmerich zeigt.

Am 22. März 1876 unternimmt der Dorflehrer Kuhl aus Muscheid aus Anlass des 79. Geburtstags des Kaisers Wilhelm I. einen Ausflug ins nahegelegene Puderbach und kehrt nach einem Gottesdienstbesuch mit den Schülern im Gasthof Hümmerich für einen Kaffee ein. Der Bericht zeigt, daß die Gaststätte auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Schon vorher existierte eine Bäckerei, die wie unten auf der Werbeanzeige zu sehen ist, auch später ein wichtiges Standbein darstellt.

Eine Anzeige des Gasthof Hümmerich aus dem Jahr 1922. Es wird mit der Nähe zum Bahnhof geworben, außerdem mit Zentralheizung, Badezimmer und elektrischem Licht, welches viele Puderbacher erst in den 1920er Jahren in ihre Häuser verlegt bekommen.
Diese 1916 abgestempelte Postkarte zeigt die Gastwirtschaft Hümmerich nebst Burgruine in Reichenstein.
Im Kasino

Meine Großmutter konnte sich nur zu gut an die Sonntagnachmittage im „Kasino“ der Gaststätte Hümmerich erinnern. Es handelte sich dabei um einen geräumigen Tanzsaal, in dem ein elektrisch angetriebenes „Orchestrion“ aufgestellt war, eine Art Klavier, in deren Inneren sich ein ganze Musikkapelle an Instrumenten mit Schlagzeug, Orgelpfeife, Triangel, Glocke und Becken befand, die durch Notenrollen, Lochscheiben oder Kartonstreifen übertragen, beliebte Schlager der Zeit vorspielten und zu denen das Tanzbein geschwungen wurde. Bis zum Abend hatte sich der Raum mit immer mehr jungen Leuten gefüllt, bis ein einziger großer Tisch entstand, der das ganze Lokal ausfüllte.

Liebe Grüße
Eine Aufnahme des Gasthofs Hümmerich aus den 1920er bzw. beginnenden 1930er Jahren. Wenn man der Straße folgt, sieht man rechts hinter dem Fachwerkgebäude (vermutlich die alte Mühle) das Kriegerdenkmal für die gefallenen des deutsch- französischen Kriegs 1870/71, das 1913 eingweiht wurde.

Die Postkarte oben wurde 1935 vermutlich von Johanna Dills an die Schwester meines Großvaters geschickt. Sie befand sich zu Besuch bei Verwandten in Bochum. Sie schreibt:

„Liebe Karoline! Habe Deine Karte erhalten und gesehen, daß es Dir gut gefällt. Es ist Sonntag Nachmittag. Anna und ich sitzen bei Hümmerichs im Kasino. Wo Hilde (Born/“Hoochspitterichs“?) ist, weiß ich nicht. Vielleicht auf der Urbacher Kirmes, ich glaube es aber nicht. Wie verbringt ihr den Sonntag? Es grüßt dich herzlich Johanna. Gruß an Frieda. Gruß von Anna Born („Hoochspitterichs“). Hilde ist gerade gekommen. Sie läßt Euch alle grüßen.“

Gasthof Heydorsch

Die Ursprünge der Gastwirtschaft gehen ins 19. Jahrhundert zurück. Die Familie Heydorn stammte ursprünglich aus Dierdorf und siedelte sich in Puderbach vermutlich um 1850 an. Es ist Louis Heydorn und seine aus Lahrbach stammende Frau Sophie geb. Göbler die die Begründer der Wirtschaft nebst Bäckerei sind.

Diese wunderschöne Lithographie-Postkarte Puderbachs zeigt uns, wie der Gasthof der „Heydorschs“ vor 1900 ausgesehen hat. Anders als heute, lagen das mit Schiefer verkleidete Wirtshaus und der äußerst geräumige Tanzsaal einander gegenüber, wie uns die mittlere Detailansicht mit Bahnhof deutlich macht. Bei dem kleinen Fachwerkbau, der sich neben dem eigentlichen Hauptgebäude befindet, dürfte es sich um Stall und Scheune gehandelt haben. Trotz der Einnahmen aus dem Gastgewerbe waren die Erträge aus der Landwirtschaft unverzichtbar und versorgten die Familie mit den wichtigsten Grundnahrungsmitteln. (Beitrag vom 7.11.2023)
Eine Detailaufnahme einer alten Postkarte vor 1901. Zu sehen ist die kaum wiederzuerkennende Hauptstraße in Puderbach. Links sieht man den noch immer existierenden früheren Tanzsaal des Gasthofs, der heute der Tafel als Ausgabestelle dient. Die Gastwirtschaft befand sich aber nicht wie heute neben dem Fachwerkbau, sondern lag, wie hier rechts zu sehen, auf der anderen Straßenseite.
Die bildhübsche Louise Heydorn aufgenommen um 1890 im Fotoatelier Albert Eisele in Neuwied. Sie ist das einzige Kind des aus Dierdorf stammenden Louis Heydorn und seiner in Lahrbach geborenen Frau Sophie geb. Göbler. (Beitrag vom 7.11.2023)
Christian Weber und Louise Heydorn

Das Ehepaar Heydorn hatte nur eine Tochter, die am 2. September 1869 geborene Louise. Sie heiratet am 28. Juni 1893 den ebenfalls aus Puderbach stammenden Ackerer Christian Weber. Auch zukünftig wird die Familie ihren Lebensunterhalt nicht nur durch den Gastbetrieb, sondern auch durch eine umfangreiche Landwirtschaft bestreiten.

Das Ehepaar Christian und Louise Weber geb. Heydorn vermutlich um 1900. Durch die Heirat bekommt die Wirtschaft den Namen des Ehemanns. An dieser Stelle sei kurz erwähnt, daß Christian Weber ein Cousin meiner Urgroßmutter Dorothea Sanner geb.
Müller ist.
Im Februar 1899 stellt Christian Weber einen Antrag beim Gemeinderat, in dem es wie folgt heißt: „3. Gesuch des Wirts Weber um Ermäßigung der Vergnügungssteuer für Benutzung eines kleinen Musikautomaten. Vertretung beschloß für die Benutzung des Musikautomaten eine jährliche pausch. Summe von 10 Mark zu erheben.“ Wie mag dieser Musikautomat wohl ausgesehen haben? Und wurde er schon elektrisch angetrieben oder mußte man ihn noch ankurbeln?
Brand im Gasthof

Im Jahr 1901 kommt es, ähnlich wie bei der Gaststätte Kasche, zu einem folgenschweren Brand, der das Hauptgebäude völlig zerstört. Daraufhin entsteht der Neubau in seiner heutigen Form.

Eine Aufnahme des Gasthofs um 1923. Nach dem verlorenen 1. Weltkrieg ist das Rheinland und somit auch Puderbach zunächst von US-amerikanischen und ab 1923 von französischen Truppen besetzt. Im Tanzsaal der Webers werden zwei franz.-marokkanische Kompanien untergebracht. Hier sieht man zwei der Soldaten vor einem sogenannten Schilderhaus (Wachhaus) sitzen.
Die Kinder der Webers

Dem Ehepaar Weber werden eine große Zahl an Kindern geschenkt, beginnend mit dem im Jahr 1894 geborenen Louis. Es folgen 1895 Rudolf, 1896 Richard, 1898 Paula, 1903 Alfred und 1906 die letztgeborene Hilde.

Hier die beiden Brüder Richard und Louis Weber. Richard sowie sein Bruder Rudolf und auch seine Schwester Paula werden unverheiratet bleiben und bis zu ihrem Tode Mitglieder der Gastwirtschaftsfamilie sein. Louis verzieht vermutlich wegen seiner Heirat nach Aachen und die jüngste Schwester Hilde wird nach ihrer Hochzeit nach Höchstenbach übersiedeln.
Alfred Weber mit einem Pferdefuhrwerk auf der Steimeler Straße. Die Aufnahme wird um 1925 entstanden sein.
Erste Umbauten

Vermutlich um 1930 nehmen die Webers erste bauliche Veränderungen vor. Die Gaststube wird erweitert und die recht kleinen Fenster des Gasthofs werden durch größere ersetzt, um den Gastraum heller zu gestalten.

Alfred Weber und Irmgard geb. Kaul

1937 heiratet dann Alfred, der zweitjüngste Spross der Familie, die 1914 in Dernbach geborene Irmgard Kaul. Die Hochzeit wird groß gefeiert, wie man auf der Aufnahme unten sieht.

Um 1930 wird diese Aufnahme von der noch unverheirateten Irmgard Weber geb. Kaul entstanden sein. Die Ähnlichkeit vom „Heydorsch Luise“ mit ihrer Mutter ist nicht zu übersehen.
Am 5. November 1937 kommt die Hochzeitsgesellschaft hinter dem Gasthofsgebäude zusammen. Rechts neben dem Brautpaar steht die Nachbarin Erna Bierbrauer verh. Schmidt und die 3. Person links neben Irmgard Weber mit dunklen Haaren und weißem Kleid ist Hilda Löhr verh. Deneu. Die Dame im dunklen Kleid und der Herr mit gestreifter Krawatte ganz rechts könnten die Eltern der Braut sein. Kann mir jemand bei der Zuordnung der anderen Personen helfen?
Alfred Weber mit Zigarre in den 1940er Jahren.
Erna Mayer

Die Umstände, wie die aus einer unehelichen Beziehung zwischen einer Jüdin und einem Katholiken stammende Erna Mayer nach Puderbach kam und zum Mitglied der Weber-Familie wird, soll in dem Kapitel über das jüdische Leben näher beschrieben sein.

Die am 31. Juli 1906 in Frankfurt geborene Erna Levy. Sie wird durch die Adoption durch das jüdische Ehepaar Mayer nach Puderbach kommen und deren Namen annehmen.
Verfolgt von den Nazis

Nur dem unermüdlichem Einsatz der Familie Weber und des Papierfabrikbesitzers Halstrick aus Raubach ist es zu verdanken, daß das „Heydorsch Erna“ in den 1940er Jahren nicht abgeholt und deportiert wird. Immer wieder, wenn bekannt wird, daß eine Ergreifung bevorsteht, wird die Halbjüdin versteckt, manchesmal im Kofferraum des Wagens des Unternehmers Halstrick, der seinen Chauffeur anweist, solange herumzufahren, bis die Gefahr vorbei ist.

Da die Webers ihre Erna nicht freiwillig an die Nazis ausliefern, reagieren die Behörden mit Zwangsmaßnahmen wie der Schließung des Lokals. Mit dem Schreiben vom 2. Juli 1943 wird diese wieder aufgehoben.
Das „Heydorsch Erna“ hinter der Thecke.
Heydorsch Luise und Axel

Zwei Kinder werden dem Ehepaar Alfred und Irmgard Weber geschenkt. 1940 kommt Luise zur Welt und sechs Jahre später erblickt Axel das Licht der Welt. Für die beiden Kinder muß es eine quirlige und niemals langweilig werdende Kindheit gewesen sein. Zum einem das Kommen und Gehen in der Gaststube, zum anderen die Großfamilie mit den unverheirateten Geschwistern des Vaters und der angenommenen Erna Mayer.

Ein wunderbares Bild der kleinen Luise vermutlich entstanden um 1945.
Vermutlich um 1958 entstand diese Aufnahme. Zu sehen sind von links die unverheiratete Paula Weber, gefolgt von Irmgard Weber geb. Kaul und rechts Erna Mayer. Besonders interessant ist der Standort. Die Frauen halten sich in ihrem Garten auf, der sich damals gegenüber der Gastwirtschaft an der Ecke Hauptstraße/Steimeler Straße befand. Im Hintergrund sieht man das Kaufhaus Otto Becker.
Weiter in Familienhand
Die Brautleute Bernd Müller und Luise geb. Weber an ihrem Festtag vor dem Gasthof.

Dem „Heydorsch Luise“ lag das Wohl und der Erhalt der Wirtschaft lebenslang am Herzen. Nach ihrer Hochzeit 1965 mit dem aus Emsdetten stammenden Bernd Müller werden die beiden gemeinsam die Gaststätte leiten. Mit ihrer zupackenden und einnehmenden Art prägen sie viele Jahre den Betrieb. Heute ist es ihre Tochter, die das Haus im Sinne ihrer Vorfahren weiterführt. Danke liebe Annette, daß Du die Tradition der Familie aufrecht erhältst!

„Volle Kraft voraus!“ So steht es auf der Rückseite der Aufnahme und beschreibt sehr treffend, wieviel Energie und fleißige Hände es in einer Gastwirtschaft braucht.
Wir befinden uns Mitter der 1960er Jahre und bei den Heydorschs scheint eine Feier mit großer Zahl an Gästen stattzufinden, die verköstigt und bedient werden wollen. Doch trotz der vielen Arbeit scheint den Frauen die gute Laune nicht vergangen zu sein. Von links nach rechts sehen wir: Paula Weber, Erna Mayer, Luise Müller geb. Weber, Erna Blum aus Niederdreis, Irmgard Weber geb. Kaul und Erna Holzbach geb. Velten. Kennen Sie vielleicht die beiden verbleibenden Damen rechts? (Beitrag vom 11.01.2023)

Über die Rheinlandbesetzung

https://de.wikipedia.org/wiki/Alliierte_Rheinlandbesetzung#:~:text=Die%20alliierte%20Rheinlandbesetzung%20war%20eine,eine%20milit%C3%A4rische%20Niederlage%20erlitten%20hatte.&text=Nachdem%20diese%20mit%20dem%20Young,Juni%201930%20vorzeitig%20beendet.

Heydorsch bei facebook

https://m.facebook.com/Heydorsch/posts/

Das Restaurant u. Lebensmittelgeschäft Zerres

Mühlenbesitzer in Dendert

Die Familie Zerres stammt ursprünglich aus dem bei Oberdreis gelegenen Dendert und führte hier seit 1851 bis ins Jahr 1892 die oberschächtige Walzenmühle. Ab spätestens 1911 trifft man den Müller Karl Zerres und seine Familie in Puderbach an. Bis um die 1920er Jahre führt er hier den Mühlbetrieb, bevor das von der Helmerother Mühle bei Flögert kommende Ehepaar Heinrich und Katharina Kölbach die Arbeit übernimmt.

Das um 1925 errichtete Wohn- und Geschäftshaus der Familie Zerres. Über die Treppe ging es links in die Gaststube und rechts betrat man das Lebensmittelgeschäft nebst Drogerie. Rechts am Bildrand erkennt man das Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71.
Ein Blick ins Innere des Café und Restaurant Zerres um 1925. (Beitrag vom 21.03.2022)
Restaurant und Lebensmittelgeschäft

Um 1925, der Sohn Willi hat gerade die aus Niederbieber stammende Emma Dümmler geheiratet, eröffnet die Familie das neugebaute Geschäftshaus, in dem sich linkerhand die Gaststube befindet und man rechterhand das gut sortierte Lebensmittelgeschäft betritt. in der 1. Etage und im Dachgeschoß wohnt die Familie.

Um 1928 entstand diese wunderbare Aufnahme der Familie Zerres. Von links nach rechts sehen wir: vermutlich die Ehefrau von Karl Zerres, die aus Lautzert stammende Katharine geborene Hülpüsch. Sie war eine Schwester des ebenfalls in Puderbach ansässigen und mit 41 Jahren viel zu früh verstorbenen Kaufmanns Julius Hülpüsch. Das kleine Mädchen ist die Enkelin Gerda. Neben ihr der Großvater Karl Zerres. Stehend sehen wir den 1901 noch in Dendert geborenen Willi Hümmerich, der wie sein Vater das Müllerhandwerk gelernt hat. Vor ihm sitzend seine Frau Emma eine geborene Dümmler. Der Vater Ernst Walter Dümmler betrieb in Niederbieber eine Metzgerei. Ganz rechts Anna Kuhl später verh. Klaas, die vor ihrer Hochzeit bei Zerres in Stellung war und der Familie zur Hand ging.
Erweiterungsbau

Um das Jahr 1936 erweitert die Familie Zerres ihre Gaststube durch den Anbau des Tanz- und Festsaals. Außerdem wird das Lebensmittel- und Drogeriegeschäft um einen Seitenflügel mit zweitem Eingang vergrößert.

Eine Aufnahme vermutlich um 1940. Links neben dem Haupthaus der angebaute Tanzsaal.
Hier ein Blick von der Gaststube hinüber in den Fest- und Tanzsaal.
Am 19. Juni 1937 findet im Festsaal der Gastwirtschaft Zerres die Hochzeitsfeier von Frieda Runkler und dem aus Woldert stammenden Werner Nies statt. Zum Gedenken an den festlichen Tag entsteht dieses Foto vor der Eingangstreppe des Hauses. Von links nach rechts sehen wir: die Eltern der Braut, Simon Runkler und Karoline geb. Brauer, dann die Brautleute und rechts die Eltern des Bräutigams, Philipp Wilhelm Nies und Sophie Katharina geb. Steinwol. (Beitrag vom 11.01.2023)
Gerda und Reinhold Zerres

Die beiden Kinder von Willi und Emma Zerres sind der 1935 geborene Reinhold und seine neun Jahre ältere Schwester Gerda.

Eine Aufnahme, die im Jahr 1937 entstanden sein muß. Im Hintergrund sieht man den Gasthof Hümmerich. Links der kleine Reinhold und ganz rechts seine Schwester Gerda.
Ebenfalls um 1937 wird diese Fotografie entstanden sein. Die jungen Männer aus Puderbach haben sich um den Vater von Emma Zerres, den Metzger Ernst Walter Dümmler geschart und scheinen mit ihm zu scherzen. Die Jugendlichen sind von links nach rechts: Erich Udert (Christins), Helmut Schmidt (Schnäilerhennerichs), Walter Kuhl (Schlössersch), Herbert Göbler (Hennerichs) und Emil Neitzert (Hammuns).
1950er Jahre bis heute

Zunächst läuft der Betrieb von Gaststube und Lebensmittelgeschäft in den 1950er Jahren ganz normal weiter. Dann im Dezember 1962 verstirbt Willi Zerres nach langer Krankheit. Emma, der Sohn Reinhold und die Schwiegertochter Elfriede führen Wirtsstube und Lebensmittelhandel weiter, wobei der Saal nicht mehr genutzt und das Geschäft ganz auf Drogerie- und Schreibwaren umgestellt wird.

Willi, Gerda, Reinhold und Emma Zerres mit Verwandten bzw. Freunden der Familie auf der Eingangstreppe Anfang der 1950er Jahre. (Beitrag vom 11.01.2023)
Hier stehen in den 1950er Jahren Willi und Emma Zerres in ihrem gut sortierten Lebensmittelgeschäft hinter der Ladentheke.
Reinhold Zerres in den 1970er Jahren beim Bier zapfen.

Erinnern Sie sich noch an die Inneneinrichtung der Gaststube? Mir ist die auf einem Sims stehende Büste von Wilhelm II. noch so lebhaft vor Augen, als wäre es gestern gewesen. Ansonsten meine ich mich zu entsinnen, daß die Wirtschaft noch bis 1995 geöffnet war. Danach baute man das Ladenlokal im Bereich des Gastraums aus. Die Tochter Frauke stieg mit frischen Ideen ins Geschäft ein, erweiterte das Sortiment um den Verkauf von Schulbüchern und anderen Druckerzeugnissen.

Mein Dank gilt der Familie, die mir freundlicherweise viele der hier gezeigten Fotos zur Verfügung gestellt hat.

Links:

https://www.zerres-puderbach.de/

Die Metzgerei und Gastwirtschaft Schneider

Eine Werbeanzeige des Gasthofs und der Metzgerei Schneider aus dem Jahr 1959
Es beginnt mit einer Beschwerde

Im Oktober 1934 beantragt der aus Roßbach stammende Artur Schneider bei der Puderbacher Bürgermeisterei eine Konzession zur Eröffnung einer eigenen Metzgerei. Kurz zuvor hatte er und seine Frau Johanna das Haus des jüdischen Ehepaars Anna und Arthur Sommer an der Ecke Hauptstraße-Schulstraße für 14.000 RM käuflich erworben. In den darauf folgenden Monaten beginnt das Ehepaar mit den für die Fleischerei erforderlichen Umbaumaßnahmen.

Die Gemeinde steht dem Gesuch Schneiders äußerst positiv gegenüber, da erreicht Bürgermeister Günther ein Beschwerdeschreiben vom Landratsamt in Neuwied. Dort hatte sich der Sohn des in der Mittelstraße schon seit vielen Jahren tätigen Fleischers Wilhelm Hottgenroth über die mögliche Vergabe einer zweiten Lizenz beschwert. Die Antwort Günthers lässt nicht lange auf sich warten und fällt für den Beschwerdeführer verheerend aus. Am 12. Mai 1935 schreibt er an den Herrn Landrat wie folgt:

„…Vor dem Kriege waren stets zwei Metzger in Puderbach. Ein Metzger ist während des Krieges gefallen, dessen Geschäft nicht wieder in Betrieb kam.* H. war die ganze Zeit der einzige Metzger in Puderbach und hätte ein glänzendes Geschäft haben können. Seine Sauberkeit ließ aber sehr zu wünschen übrig. Infolgedessen bezieht ein großer Teil der Bevölkerung das Fleisch von auswärtigen Metzgern. So wird der Ort z.Zt. von 6 auswärtigen Metzgern, darunter 2 Juden beliefert. H. beruft sich bei seiner Eingabe auf den Veterinärsrat Homp in Neuwied. Gerade dieser hat in vielen Fällen die Unsauberkeit und Nachlässigkeit im Betriebe des H. beanstandet. Der größte Teil der Bevölkerung wünscht deshalb einen zweiten Metzgereibetrieb, weil die Wurst bei H. sehr häufig zu beanstanden ist und die Leute deshalb genötigt sind, Wurstwaren auswärts zu kaufen oder selbst zu schlachten…“ (*gemeint ist der bereits 1914 gefallene koschere Metzger Berthold Bär)

Im Weiteren weist Günther auf die profunde Ausbildung Schneiders hin, der sein Handwerk in der Metzgerei Imhäuser in Rengsdorf erlernt hat, später Geselle im Fleischereibetrieb der Familie Sassmannshausen in Betzdorf war und, im Gegensatz zu Hottgenroths Sohn, über eine Meisterprüfung verfügt. Auch seine dem Zeitgeist entsprechende tadellose Gesinnung bleibt nicht unerwähnt.

Artur und Johanna Schneider müssen noch bis zum Jahr 1936 warten, ehe der Deutsche Fleischerverband Rheinland die heiß ersehnte Konzession gewährt.

Eröffnung

1936 ist es dann endlich soweit und das Ehepaar Schneider eröffnet ihre Metzgerei an der Mittelstraße. Die Puderbacher Dorfbewohner werden das hervorragende Angebot an Fleisch- und Wurstwaren dankbar angenommen haben.

Die Metzgerei Artur Schneider im Jahr der Eröffnung 1936. Das „ff.“ vor der Werbeschrift „Aufschnitt“ kommt vermutlich von dem Begriff „Feinstes vom Feinen“ und bedeutet soviel wie „ausgezeichnet“ oder „sehr gut“.
Um 1938 lassen sich der Kaufmann Wilhelm Gabel aus Allendorf und seine frisch angetraute Frau Elisabeth, die Tochter des Kaufhausbesitzers Otto Becker aus Puderbach, vor dem Haus der Familie Schneider ablichten.

Im Jahr der Eröffnung wird auch das erste Kind der Schneiders geboren. Am 23. April 1936 kommt die Tochter Anneliese zur Welt.

Artur und Johanna Schneider vorm Eingang ihrer Metzgerei im Jahr 1938. Vorne im Gras spielend sehen wir die zwei Jahre alte Tochter Anneliese.
Kriegsausbruch 1939

Artur und Johanna Schneider bleiben nur wenige unbeschwerte Jahre, bevor am 1. September 1939 auf Befehl Hitlers deutsche Truppen Polen überfallen und somit den 2. Weltkrieg auslösen. Auch Artur wird infolgedessen eingezogen und vermutlich ab 1941 an der Ostfront eingesetzt. Bei seinem Heimaturlaub im Jahr 1944 wird er seine inzwischen 8jährige Tochter Anneliese und die 1943 geborene einjährige Tochter Rosemarie ein letztes Mal in die Arme schließen. Das es ein Abschied für 10 Jahre sein würde, ahnte damals niemand.

Kriegsgefangenschaft

Drei lange Jahre mußte mein Großvater im französischen Kriegsgefangenenlager bei Langres Sühne leisten für die mannigfaltigen Verbrechen der Deutschen Wehrmacht.

Artur Schneider ereilt ein noch viel härteres Schicksal. Erst im Jahr 1953, acht Jahre nach Kriegsende, werden er und 7000 andere Männer nach vermutlich zähen Verhandlungen zwischen der westdeutschen Regierung und der kommunistischen Führung in Moskau aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft entlassen. Ob seine Frau Johanna damals unter den zahlreichen Angehörigen ist, die die Männer am 25. September am innerdeutschen Grenzübergang Herleshausen in Empfang nehmen?

https://www.tagesschau.de/jahresrueckblick/meldung228208.html

Der Kriegsheimkehrer wird 1953 aufs herzlichste Willkommen geheißen.
Neue Pläne

Endlich kann Artur nach seiner Rückkehr die Metzgerei wieder selbst leiten. Der Fleischermeister Will hatte in seiner Abwesenheit das Ladengeschäft gepachtet. Doch schon bald reifen neue Pläne in dem Ehepaar Schneider. Was wäre, wenn Sie die Fleischerei durch einen Gaststättenbetrieb erweitern?

Diese Postkarte dürfte Ende der 1950er Jahre produziert und in dem Gasthaus Schneider zum Verkauf angeboten worden sein.

1956 ist das Vorhaben bereits in die Tat umgesetzt und der Gasthof Schneider mit seiner Einrichtung ganz im Stil der 1950er Jahre wird eingeweiht.

Eine Postkarte aus den 1960er Jahren, die das Innere der Gaststätte zeigt.
Um 1960 entsteht diese Aufnahme vor dem Gasthof auf der Mittelstraße. Ganz rechts steht der Metzger und Gastwirt Artur Schneider, links neben ihm seine Tochter Rosemarie, die dem Vater und der Mutter an den Wochenenden in der Gaststube zur Hand geht. Neben Rosemarie dürften wir die Mutter Johanna Schneider geb. Oettgen sehen. Die übrigen Herren waren vermutlich Gäste des Hauses. Erkennt jemand der geschätzten Leserinnen und Leser einen der jungen Männer?

Bis in die 1980er Jahre bleibt die Gaststätte in Betrieb, wird in den letzten Jahren aber an einen Pächter übergeben. Die Metzgerei dient nach ihrer Schließung der ältesten Tochter Anneliese und ihrem Sohn noch einige Jahre als Blumenladen, an den auch ich mich gerne zurückerinnere.

(Beitrag vom 22. November 2021)

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